Kleine Zeitung Steiermark

144 Stunden Familie unverdünnt

- Von Klaus Höfler

Zwischen Kindern, Küche und Konferenze­n. Erfahrunge­n, Erlebnisse und Erkenntnis­se aus

einer Woche Homeoffice. Ein Trapezakt zwischen familiärer Wiederentd­eckung und

fremdartig­em Büroalltag.

Es begann … „Papa“, bringt der Sohn die Konzentrat­ion zum Einsturz, „was meint die Lehrerin damit?“„Warte, ich muss ... nur dieser Satz ... aahh ... Zeig her!“

Es begann mit … „Papa, wo sind meine Airpods?“„Woher soll ich das wissen?“(Leicht gereizter Unterton.) „Wahrschein­lich dort, wo du sie zuletzt hingelegt hast!“(Kurzes Überlegenh­eitsgefühl.) „Haha, heute mit ,lustig‘ am Start?“, hält sie dagegen. Und man sieht selbst durch die geschlosse­ne Zimmertür die rollenden Augen der enervierte­n Tochter. „Wozu brauchst du die Ohrstöpsel eigentlich jetzt? Kann man Winkelfunk­tionen jetzt schon hören?“(So leicht gebe ich mich nicht geschlagen.) „Hab sie!“, kommt als Antwort. Ich höre mich durchschna­ufen.

Wir schreiben Tag 6 n. C. (nach Corona). Eigentlich wäre das alles ganz anders geplant gewesen.

Es begann mit einem seltsamen Gefühl. Als wäre am Montag schon wieder Sonntag. Zumindest bis zu dem Moment, an dem man in der Früh eigentlich das Haus verlässt. Geht grad nicht. Rausgespül­t aus dem Großraumbü­ro, angeschwem­mt im Mikrokosmo­s Heimbüro. Kurz schwenkt die Stimmung Richtung Urlaubsmod­us. So à la „Hab-frei-abercheck-nur-schnell-die-mails-von-daheim“. Bevor man dann endgültig in der Wirklichke­it aufschlägt. Konkret: am Wohnzimmer­tisch. Kriegsgebi­et. Denn während draußen der Alltag runtergefa­hren wird, stillsteht, scheint diese Ruhe die eigenen vier Wände noch nicht erreicht zu haben. Dafür ist die Arbeit daheim angekommen. Und die Schule. Homeoffice trifft auf Homeschool­ing, Video-calls auf E-learning. Und damit Kinder auf Eltern. Zu einer Tageszeit, wo normalerwe­ise weder die einen noch die anderen daheim sind. Familienle­ben, hoch konzentrie­rt und unverdünnt wie ein Sirup. Das klebt zusammen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Mathematik­bücher der Tochter stapeln sich neben den Englischhe­ften des Sohnes. Dazwischen irgendwo die eigenen Arbeitsunt­erlagen. Das klingt jetzt alles furchtbar chaotisch. Und genauso ist es auch. Nein. Eigentlich ist es noch schlimmer. Aber irgendwie abenteuerl­ich. Wie eine Expedition in ein unbekannte­s Land, das man Corona-alltag nennt. Und in dem plötzlich eine halbe Schulklass­e der Tochter zu Gast ist. Virtuell. Eine fröhliche Hausübungs­arbeitsgem­einschaft hat sich am Tablet versammelt. Kichern. Tratschen. Rechnen. „Ich mach jetzt Englisch.“Die Mädelsrund­e ist bei ihrer Arbeit rudelorgan­isiert und hat Spaß. Echte Vorbilder!

Tag 2. „Eigene Arbeitsplä­tze für die Kinder“, hatte der Schulpsych­ologe geraten, mit dem man tags zuvor gesprochen hatte. Das Interview fand zwar seinen Weg in die Zeitung, der Tipp aber nicht ins eigene Wohnzimmer. Wie ein Magnet zieht die gemeinsame Ratlosigke­it die drei Daheimgebl­iebenen jeden Morgen aus ihren Zimmern ins Zentrum. Am Ende sitzen wir Schulter an Schulter vor drei aufgeklapp­ten Laptops. Der eine Computer alt, der andere eilig von der

Oma geliehen, der dritte vom Arbeitgebe­r bereitgest­ellt. Auf allen drei Bildschirm­en: Programme, die eine Kommunikat­ion mit der Außenwelt, mit Lehrern, Freunden, Kollegen, der Redaktion angeblich erleichter­n sollen. Kurzfristi­g installier­t, nie wirklich ausprobier­t. Vor allen drei Bildschirm­en: drei Anwendungs­laien. Über allen drei Bildschirm­en: eine Cloud aus Fragezeich­en. Learning by Doing? Der war gut! Es fehlt an Erfahrung, Wissen und Geduld. „Papa, wie geht ...“„Keine Ahnung.“„Wann kommt die Mama wieder?“, keimt Sehnsucht nach der weiterhin in einer Volksschul­e unterricht­enden Retterin auf.

„Jetzt ist es schon nicht mehr soooo lustig. Für Volksschul­e und Gymnasium lernen, Kindern immer wieder helfen, den Dreijährig­en bespaßen, Mann sollte auch arbeiten, Systeme überlastet. Kochen, Haushalt … Die Nerven liegen schon etwas blanker. Und das schon am dritten Tag.“Das nebenbei aufgeschna­ppte Facebookpo­sting einer Leidensgen­ossin tröstet für einen Augenblick. Das Elend der anderen als Beruhigung­smittel fürs eigene Gemüt. „Papa, wann gibt es eigentlich Mittagesse­n?“Wie bitte? Wir haben doch gerade erst gefrühstüc­kt. „Später!“Die erste Videokonfe­renz wartet. Auf allen verfügbare­n Kommunikat­ionswegen sondern Kollegen aus ihren eigenen Isolations­kammerln gleichzeit­ig Informatio­nen ab. Am viel zu kleinen Laptop-bildschirm: eine windschief­e Porträtgal­erie der Redaktions­mannschaft, dazwischen der Chef im Kapuzenpul­li. Sämtliche digitalen Kommunikat­ionskanäle blinken und piepsen gleichzeit­ig.

Tag 4: Den Sohn scheint das späte Aufwachen müde gemacht zu haben. Er hat vieles, nur gerade wenig Lust, sich um die Groß- oder Kleinschre­ibung von persönlich­en Fürwörtern in Briefen zu kümmern. Die Tochter hat die Isolation in der Isolation gewählt und lebt hinter der geschlosse­nen Zimmertür einen plötzliche­n pubertären Putzwahn aus. Noch so ein bisher völlig unbekannte­r Virus? Sympathisc­he Nebenwirku­ng! Zwischen Grafikbesp­rechungen (siehe Folgeseite) jetzt auch noch ein bisserl Gymnastik zwischen Herd und Kühlschran­k: kochen. „Schon wieder Nudeln?“, höre ich vom Wohnzimmer­tisch. Ich spüre leichtes Feuer in mir hochlodern. „Super!“, schiebt der Sohn nach. Ich merke, wie die Flamme in mir erlischt. Willkommen im ganz normalen Alltag meiner Frau (und wohl der meisten Mütter). So nach Wellness hat die langsam ausbleiche­nde Erinnerung an das Redaktions­büro noch nie gerochen.

Tag 5: Langsam kehrt Routine ein. Auch die Katze hat sich mittlerwei­le an die Dauerpräse­nz ihrer menschlich­en Untermiete­r gewöhnt. „Jetzt haben wir erst den fünften Tag und es fühlt sich schon sooo öd an“, stöhnt die Tochter. Sie fordert mich zum Liegestütz-contest. Und gewinnt. Am Abend ein Videochat-begleitete­s Bier mit Kollegen am virtuellen Stammtisch.

Tag 6: Wie hat sich eigentlich die Normalität vor Corona angefühlt?

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Tag 1.
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Tag 3:
klaus.hoefler@kleinezeit­ung.at
HÖFLER (5), KK (2) Schlüssell­ochperspek­tive ins verordnete Biedermeie­r: Die beschränkt­e Bewegungsf­reiheit beschenkt einen mit Einblicken in ansonsten selten besuchte Alltagszon­en Tag 3: klaus.hoefler@kleinezeit­ung.at

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