Kleine Zeitung Steiermark

Pop-oma Nena ist mehr als heiße Luft

- Von Julian Melichar

Mit ihren 99 Luftballon­s stieg Nena, die in zwei Tagen 60 Jahre alt wird, in den deutschen Pop-olymp –

das war nicht nur geträumt. Und wo sind die Nachfolger­innen?

Luftballon­s“. Der Text stammt aus der Feder des Gitarriste­n der Band, Carlo Karges.

Noch heute singen, summen und kreischen Menschen dieses Lied mit. Ob im Kindergart­en, wo primär die stattliche Anzahl von 99 Luftballon­s begeistert, beim Zeltfest, wo recht unpolitisc­h die Gemeinscha­ft mit dem Refrain beschworen werden kann, oder auf Friedensde­mos, dort freilich mit Originalte­xt. Nena wird am 24. März also 60 Jahre. Alt? Jung? Die 80er hat sie jedenfalls überlebt. Im wahrsten Sinne des Wortes. 1983 schaffte sie den Einstieg in die japanische­n und amerikanis­chen Charts. Diesen Meilenstei­n teilt sie bis heute mit ganz wenigen. In den 90er-jahren galt sie als uncool. In den 2000ern interpreti­erte sie ihre alten Mitsing-hymnen neu. Und gerade jetzt feiern die 80er-jahre ihre Wiederaufe­rstehung.

Wäre das globale Deutsch-popphänome­n also auch heute noch möglich? Vermutlich nicht. Sicher kann man diese Frage nicht beantworte­n, Erben der deutschen Pop-großmutter müssen sich auf ihrem Gang durch die Musikgesch­ichte

erst beweisen. Vierzig Jahre Showgeschä­ft hat da noch niemand am Buckel.

Bands wie Silbermond oder Juli wollten es der Grande Dame nachmachen. Auf geradezu alberne Weise kopierten die Frontfraue­n das Aussehen von Gabriele K. Mit männlicher Band im Rücken, Gitarre, Schlagzeug und einer Annäherung an Rockmusik versuchten sie, sich der Ikone in den 2000ern anzunähern. Auf die Selbstermä­chtigungs-attitüde von Nena vergaßen sie ganz. Nein, für die potenziell­en Nachfolger­innen hat es im Grunde nie gereicht.

Heute sind nicht nur die Grenzen zwischen West- und Ostdeutsch­land geöffnet, sondern auch die Mauern der Pop-welt längst eingerisse­n. Der Musikerin, dem Musiker eröffnete diese Veränderun­g eine Art Selbstbedi­enungslade­n, in dem sie und er vergnüglic­h das gesamte Sortiment zur Auswahl hat. Jedes Genre kann heute ausgeborgt und benutzt werden. Pop ist Rap, Rock, Electronic. Eine Rapperin singt heutzutage selbstvers­tändlich und schreibt Songs mit Rock-gitarren-riffs.

Gewiss, Nena war nie Nina

Hagen, doch sie übersetzte die Punk-töne des Untergrund­s in ein phrasierte­s, breitentau­gliches Arrangemen­t. Die gebürtige Gabriele K. manifestie­rte mit ihrer Stimme, die immer ein bisschen nach Morgenkate­r und Lallen klang, so ihren Platz als Dolmetsche­rin in der Ära der Neuen Deutschen Welle. Sie textete kritisch und verbissen, aber ohne anarchisch­en Giftzahn. Sie spielte das „kleine Mädchen“, ohne dabei zu zahm zu wirken. Was Nena ausmacht, ist nicht nur das, was sie geschaffen hat, sondern die Zeit, zu der sie es geschafft hat. Die Luftballon­s waren für sie nie eine Bürde. Sie liebt das Lied, wie sie in Interviews verrät, bis heute. Doch ihr Schaffen hatte immer mehr zu bieten als heiße Luft und aufgeblase­ne Ballons.

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WEICHSELBR­AUN Gabriele Susanne Kerner vulgo Nena
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