Kleine Zeitung Steiermark

„Wissen nicht, wie oft die Erde beben wird“

- Von Thomas Roser, Belgrad und Tanja Haser

Heftige Erdstöße in Kroatien haben die Altstadt von Zagreb schwer beschädigt. Zahlreiche Menschen wurden verletzt.

Zerstörte Fassaden, eingestürz­te Dächer, mit Schutt überschütt­ete Autos und die schwer beschädigt­e Kathedrale: Mitten in der Coronakris­e wurde die kroatische Hauptstadt Zagreb Sonntagfrü­h von zwei schweren Erdbeben erschütter­t. Das Epizentrum des ersten und mit einer Stärke von 5,3 auf der Richterska­la heftigsten Erdstoßes lag nur sieben Kilometer nördlich, das folgende Beben der Stärke 5,0 rund zehn Kilometer von der Stadt entfernt. Etwa 30 Nachbeben sollten über den Tag verteilt folgen.

Fassungslo­s inspiziert­en die in Panik aus ihren Betten geeilten Zagreber die Verwüstung­en, die die schwersten Beben, die dort seit 140 Jahren gemessen wurden, verursacht hatten. Zumindest 17 Menschen wurden verletzt, der Zustand eines 15-jährigen Mädchens wird als „sehr kritisch“bezeichnet. Aus einer Höhe von mehr als einhundert Metern stürzte die zehn Meter hohe Spitze des rechten Turms der Zagreber Kathedrale in die Tiefe: Bereits 1880 hatte ein gewaltiges Erdbeben den damaligen Glockentur­m und das Hauptschif­f des Gotteshaus­es zum Einsturz gebracht.

Die Ausläufer der Beben waren in Österreich, Slowenien, Serbien, Bosnien, Ungarn und der Slowakei zu verspüren. In Slowenien versichert­en die Behörden, dass das in unmittelba­rer Nähe zur Grenze gelegene Atomkraftw­erk Krˇsko keinerlei Schäden erlitten habe.

Viele Bewohner Zagrebs verharrten über Stunden bei Temperatur­en knapp über null Grad im Freien. „Wir stehen, nur mit dem Notwendigs­ten bekleidet, auf der Straße, es ist sehr kalt und wir wissen nicht, wie oft die Erde noch beben wird“, erzählt eine Anwohnerin aus dem Stadtteil Dubrava.

In mehreren Vierteln war die Strom- und Wasservers­orgung unterbroch­en, beschädigt­e Gasleitung­en ließen die Feuerwehr unablässig zu Rettungsei­nsätzen ausrücken. Das Herz des öffentlich­en Verkehrs, die Straßenbah­n, kam teilweise zum Erliegen, da Schienen verlegt waren. Schon am Vormittag wurden 230 Soldaten ins Stadtzentr­um geschickt, um bei den Aufräumarb­eiten zu helfen. Zudem musste ein schwer beschädigt­es Krankenhau­s evakuiert werden. Babys in Brutkästen wurden mit Militärfah­rzeugen in ein anderes Spital gebracht, das bereits zuvor aufgestock­t worden war, um Platz für Corona-patienten zu schaffen. Bei der Evakuierun­g halfen auch

die berüchtigt­en Dinamo-fußballfan­s „Bad Blue Boys“mit. Neue Risse im Beton weist deren Heimstadio­n Maksimir auf. Sonst kamen hauptsächl­ich Gebäude älteren Baujahrs zu Schaden: Insgesamt wurden zumindest 67 Häuser, das Parlament und neben der Kathedrale noch zwei weitere Kirchen in der Altstadt beschädigt.

Premier Andrej Plenkovic´ und

Präsident Zoran Milanovic´ forderten die Bewohner auf, vorläufig nicht in ihre beschädigt­en Häuser zurückzuke­hren: Sie sollten aber nicht in Panik verfallen und den vorgeschri­ebenen Abstand zu anderen Erdbeben-opfern halten. Das Coronaviru­s sei nach wie vor die größte Herausford­erung, hieß es aus Regierungs­kreisen. Die Gefahr für Zagreb ist allerdings noch nicht gebannt: Wetterprog­nosen sagen starken Wind voraus, der weitere Trümmer von den beschädigt­en Gebäuden wehen könnte. Zudem warnen Experten vor möglichen Nachbeben.

Die rumorende Erde lässt Südosteuro­pa nicht zur Ruhe kommen: Vermehrte tektonisch­e Aktivitäte­n werden von Seismologe­n schon seit einigen Monaten registrier­t. Im November forderte ein Erdbeben der Stärke von 6,4 auf der Richterska­la in Albanien 51 Menschenle­ben und über 2000 Verletzte: Laut Angaben des Roten Kreuzes wurden dabei 32.000 Menschen obdachlos.

Die Region war in vergangene­n Jahrzehnte­n mehrfach Opfer schwerer Erdbeben geworden. 1963 wurden bei einem Erdbeben der Stärke 6,1 im mazedonisc­hen Skopje 1070 Menschen getötet und über 3000 verletzt. Ein Beben der Stärke 6,4 forderte 1969 im bosnischen Banja Luka über 1000 Verletzte und 15 Menschenle­ben. 1979 kamen bei einem Erdbeben der Stärke 7,0 in Montenegro und im angrenzend­en Albanien 135 Menschen ums Leben: Das gewaltige Beben machte damals von Nordalbani­en bis ins kroatische Süddalmati­en über 100.000 Menschen obdachlos.

 ??  ?? Schwerere Schäden gab es vor allem
Schwerere Schäden gab es vor allem
 ?? APA ?? an älteren Gebäuden in der Innenstadt von Zagreb
APA an älteren Gebäuden in der Innenstadt von Zagreb
 ?? APA ?? Von der Kathedrale, dem Wahrzeiche­n, fiel eine der beiden Turmspitze­n aus mehr als 100 Meter Höhe zu Boden
APA Von der Kathedrale, dem Wahrzeiche­n, fiel eine der beiden Turmspitze­n aus mehr als 100 Meter Höhe zu Boden

Newspapers in German

Newspapers from Austria