„Wissen nicht, wie oft die Erde beben wird“
Heftige Erdstöße in Kroatien haben die Altstadt von Zagreb schwer beschädigt. Zahlreiche Menschen wurden verletzt.
Zerstörte Fassaden, eingestürzte Dächer, mit Schutt überschüttete Autos und die schwer beschädigte Kathedrale: Mitten in der Coronakrise wurde die kroatische Hauptstadt Zagreb Sonntagfrüh von zwei schweren Erdbeben erschüttert. Das Epizentrum des ersten und mit einer Stärke von 5,3 auf der Richterskala heftigsten Erdstoßes lag nur sieben Kilometer nördlich, das folgende Beben der Stärke 5,0 rund zehn Kilometer von der Stadt entfernt. Etwa 30 Nachbeben sollten über den Tag verteilt folgen.
Fassungslos inspizierten die in Panik aus ihren Betten geeilten Zagreber die Verwüstungen, die die schwersten Beben, die dort seit 140 Jahren gemessen wurden, verursacht hatten. Zumindest 17 Menschen wurden verletzt, der Zustand eines 15-jährigen Mädchens wird als „sehr kritisch“bezeichnet. Aus einer Höhe von mehr als einhundert Metern stürzte die zehn Meter hohe Spitze des rechten Turms der Zagreber Kathedrale in die Tiefe: Bereits 1880 hatte ein gewaltiges Erdbeben den damaligen Glockenturm und das Hauptschiff des Gotteshauses zum Einsturz gebracht.
Die Ausläufer der Beben waren in Österreich, Slowenien, Serbien, Bosnien, Ungarn und der Slowakei zu verspüren. In Slowenien versicherten die Behörden, dass das in unmittelbarer Nähe zur Grenze gelegene Atomkraftwerk Krˇsko keinerlei Schäden erlitten habe.
Viele Bewohner Zagrebs verharrten über Stunden bei Temperaturen knapp über null Grad im Freien. „Wir stehen, nur mit dem Notwendigsten bekleidet, auf der Straße, es ist sehr kalt und wir wissen nicht, wie oft die Erde noch beben wird“, erzählt eine Anwohnerin aus dem Stadtteil Dubrava.
In mehreren Vierteln war die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, beschädigte Gasleitungen ließen die Feuerwehr unablässig zu Rettungseinsätzen ausrücken. Das Herz des öffentlichen Verkehrs, die Straßenbahn, kam teilweise zum Erliegen, da Schienen verlegt waren. Schon am Vormittag wurden 230 Soldaten ins Stadtzentrum geschickt, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Zudem musste ein schwer beschädigtes Krankenhaus evakuiert werden. Babys in Brutkästen wurden mit Militärfahrzeugen in ein anderes Spital gebracht, das bereits zuvor aufgestockt worden war, um Platz für Corona-patienten zu schaffen. Bei der Evakuierung halfen auch
die berüchtigten Dinamo-fußballfans „Bad Blue Boys“mit. Neue Risse im Beton weist deren Heimstadion Maksimir auf. Sonst kamen hauptsächlich Gebäude älteren Baujahrs zu Schaden: Insgesamt wurden zumindest 67 Häuser, das Parlament und neben der Kathedrale noch zwei weitere Kirchen in der Altstadt beschädigt.
Premier Andrej Plenkovic´ und
Präsident Zoran Milanovic´ forderten die Bewohner auf, vorläufig nicht in ihre beschädigten Häuser zurückzukehren: Sie sollten aber nicht in Panik verfallen und den vorgeschriebenen Abstand zu anderen Erdbeben-opfern halten. Das Coronavirus sei nach wie vor die größte Herausforderung, hieß es aus Regierungskreisen. Die Gefahr für Zagreb ist allerdings noch nicht gebannt: Wetterprognosen sagen starken Wind voraus, der weitere Trümmer von den beschädigten Gebäuden wehen könnte. Zudem warnen Experten vor möglichen Nachbeben.
Die rumorende Erde lässt Südosteuropa nicht zur Ruhe kommen: Vermehrte tektonische Aktivitäten werden von Seismologen schon seit einigen Monaten registriert. Im November forderte ein Erdbeben der Stärke von 6,4 auf der Richterskala in Albanien 51 Menschenleben und über 2000 Verletzte: Laut Angaben des Roten Kreuzes wurden dabei 32.000 Menschen obdachlos.
Die Region war in vergangenen Jahrzehnten mehrfach Opfer schwerer Erdbeben geworden. 1963 wurden bei einem Erdbeben der Stärke 6,1 im mazedonischen Skopje 1070 Menschen getötet und über 3000 verletzt. Ein Beben der Stärke 6,4 forderte 1969 im bosnischen Banja Luka über 1000 Verletzte und 15 Menschenleben. 1979 kamen bei einem Erdbeben der Stärke 7,0 in Montenegro und im angrenzenden Albanien 135 Menschen ums Leben: Das gewaltige Beben machte damals von Nordalbanien bis ins kroatische Süddalmatien über 100.000 Menschen obdachlos.