Die kritische Phase beginnt zu Ostern
Regierung will am Montag Bilanz ziehen. Derzeit nur zwölf Asylwerber pro Tag.
Gesundheitsminister Rudi Anschober geht davon aus, dass die Zahl der Erkrankten zwischen Mitte April und Mitte Mai ihren Höhepunkt erreicht. Derzeit verfügen die Spitäler noch über genügend Kapazitäten – mit ersten Ausnahmen: Im westlichen Teil Tirol stoßen einige Krankenhäuser (Zams, Landeck) langsam an ihre Kapazitätsgrenzen, in den nächsten zwei Wochen, um Ostern herum, könnte sich die Lage auch bundesweit zuspitzen. Bisher sind in Österreich 58 Menschen an Corona gestorben, 128 Infizierte liegen auf der Intensivstation, rund 800 sind im Spital. Dieser Tage treffen fünf Millionen Masken, zwei Millionen Op-masken und vier Millionen Spitalshandschuhe in Österreich ein.
Erst am Montag wollen Kanzler Sebastian Kurz, Gesundheitsminister Anschober und Innenminister Karl Nehammer eine erste Zwischenbilanz der vor zwei Wochen verhängten Ausgangs-, Lokal-, Schul-, Uni- und Veranstaltungsbeschränkungen ziehen. Anschober ließ sich gestern nicht entlocken, ob die Maßnahmen beibehalten, gelockert oder sogar verschärft werden. Hinter den Kulissen ist zu erfahren, dass sich niemand große Hoffnungen auf etwaige Lockerungen machen darf, vielleicht muss punktuell sogar nachgeschärft werden.
Immer mehr in Zweifel gezogen wird die Statistik zu den Infizierten, insbesondere die
Gesundheitsminister Rudi Anschober
Frage, ob die Zahlen überhaupt aussagekräftig sind. Bis zu den Abendstunden waren 7610 Personen positiv getestet worden (Stand 18 Uhr). Von den rund 40.000 Tests bundesweit entfielen knapp 13.000 und damit fast ein Drittel allein auf Tirol. In anderen Teilen des Landes werden viele Personen, die unter Quarantäne gestellt wurden, gar nicht mehr getestet. In Überlegung sind neue, repräsentativere Erhebungsmethoden.
Die Reaktivierung mehrerer
Bundesasylquartiere hat in den davon betroffenen Gemeinden, etwa in Leoben oder am Semmering, heftige Reaktionen hervorgerufen. Im Innenministerium wird von einer „reinen Vorsichtsmaßnahme“gesprochen. Die neu geschaffenen Unterkünfte würden nur aktiviert werden, wenn Quartiere des Bundes oder der Länder unter Quarantäne gestellt werden. Tatsächlich gebe es in Österreich einen „De-factoeinreisestopp“für Asylwerber. Seit Ausbruch der Coronakrise stellen im Durchschnitt täglich nur zwölf Personen einen Asylantrag, am Donnerstag waren es nur vier. Nur Asylwerber, die über ein Gesundheitszeugnis verfügen, dürfen ins Land.
Entspannung gibt es an einer anderen Front. Tagelang herrschte Verwirrung bei der täglichen Statistik, die Angaben des Gesundheitsministeriums und der Bundesländern klafften auseinander. Nun hat der Krisenstab im Innenministerium die Aufgabe übernommen, nach der morgendlichen Telefonkonferenz mit den Ländern werden die aktuellsten Zahlen publiziert.
Von Mathias Döpfner
Shutdown. Stillstand. Pause. Mute. Kaum Kontakt. Atem anhalten. Ruhe. Vakuum. Nichts. Die Pandemie hat unseren Alltag radikal verändert. Aber der Ausnahmezustand muss auch wieder enden. Bald.
heit recherchieren wollen, des Landes verwiesen werden, wird verdrängt. Dass man der chinesischen Informationspolitik nicht trauen kann, wir eventuell belogen werden, ebenfalls. Ist dieses Modell unsere Zukunft? Soll China zu unserem Vorbild werden, weil es die Coronakrise so totalitär gemeistert hat? Ich fürchte, wir begehen demokratischen Selbstmord aus Angst vor dem Sterben.
Und dann wache ich auf. 294.110 Coronafälle weltweit. 22.672 in Deutschland. 4062 mehr als am Vortag. Fast viermal mehr als letzte Woche. 20 Prozent der Patienten, die in ein Us-amerikanisches Krankenhaus eingewiesen wurden, sind angeblich zwischen 20 und 44 Jahre alt. Und dann die Bilder aus
Bergamo. Lastwagen mit Leichen. Massengräber. Weinende Ärzte und Krankenschwestern, die Sterbende nicht mehr angemessen versorgen können. Der
Arzt, der darauf besteht, nicht mehr behandelt zu werden, weil er selbst zu viele Patienten in seinem Alter zurückweisen musste. So wache ich auf.
Und nach allem Ringen und Zaudern und Zweifeln wird mir klar: Obwohl ich befürchte, dass die Folgen der Virusbekämpfung schlimmer sein könnten als die Folgen des Virus selbst (Rezession, Massenarbeitslosigkeit, Enteignungen, vielleicht Schlimmeres), glaube ich am Ende, dass diese Maßnahmen richtig sind. Je entschlossener, desto besser. Denn eine Strategie braucht Entschiedenheit. Und diesen Weg haben wir nun einmal aus guten Gründen
eingeschlagen.
Shutdown. Stillstand. Pause. Mute. Kaum Kontakt. Atem anhalten. Ruhe. Vakuum. Nichts. Für kurze Zeit, wenige Wochen. Das können wir packen. Entscheidend an dieser Strategie ist, dass man ihr Ende bedenkt und ihr zügiges Ende plant. Es ist eine radikale Vorgehensweise für sehr kurze Zeit. Es geht darum, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, um Zeit zu gewinnen. Um auch die Voraussetzungen für mehr intensivmedizinische Versorgung zu schaffen. Längerfristig ist ein Stillstand gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch nicht zu verkraften. Die
Fantasie, dass wir
die Pausetaste drücken, bis das Virus verschwunden ist, ist naiv und gefährlich. Es wird der Tag kommen, an dem die Politik ihr Narrativ ändert und erklärt, dass die „Vermeidung von Sozialkontakten“(was für ein technokratischer Begriff ) zu Ende ist. Wir wieder arbeiten und fast wie früher leben sollen. Zurück zur Normalität. Zur zivilisationsentscheidenden Ambition. Das Virus wird nicht weg sein. Wir haben nur Zeit gewonnen. Dann müssen wir uns um die kümmern, die besonders gefährdet sind. Sie müssen wir schützen. Hoffentlich bald mit einem Impfstoff und ertüchtigter Intensivmedizin.
Für den Rest der Gesellschaft aber muss gelten: Raus aus dem wirtschaftlichen Winterschlaf, zurück in den Alltag. Und das so schnell wie möglich. Denn sonst könnte der Verlust größer sein: unsere Gesellschaftsordnung, unser Lebensstil, unser freiheitlicher Lebenssinn. Wir hätten dann für etwas mehr Sicherheit und Gesundheit die Freiheit getauscht und die offene Gesellschaft zerstört. Aber das muss nicht sein. Es darf nicht sein. Es wird nicht sein. Im Gegenteil: Wir können gestärkt aus dieser Lage hervorgehen. Es ist die erste echte Krise für mehrere deutsche Nachkriegsgenerationen. risen sind oft die Katalysatoren des Fortschritts. Einige der größten Errungenschaften der Zivilisation sind nach Kriegen und Seuchen entstanden. Die Pest war – nach dem Medizinhistoriker Klaus Bergdolt – regelrecht die Voraussetzung für die Renaissance, eine der kulturell beflügelndsten und reichsten Phasen der Menschheitsgeschichte. Der Pest folgte großer Wohlstand und ein bis dahin nicht gekannter Individualismus. Egon Friedell fasste es so zusammen: „Das Konzeptionsjahr des Menschen der Neuzeit war das Jahr 1348, das Jahr des Schwarzen Todes.“Auf den Zweiten Weltkrieg folgte das deutsche Wirtschaftswunder. Nach der Ölkrise von 1978/80 begannen wir, verstärkt in erneuerbare Energien zu investieren.
Krisen zwingen dazu, Dinge anders zu machen, neu zu denken. Sie fördern den Zusammenhalt. Ein gemeinsamer Feind, in diesem Fall glücklicherweise nicht ein anderes Land oder Volk, sondern das Virus, verbindet. Schweißt
Kzusammen. Mobilisiert Energien. Krisen bringen wie unter einem Brennglas Schwächen, aber auch Stärken einzelner Menschen und Systeme hervor. Sie sind ein Charaktertest. Eine große Chance für unsere Persönlichkeit. Jeder kann in der Krise scheitern – durch Resignation. Oder über sich hinauswachsen – durch Mut und Gemeinsinn. Wenn die Krise überstanden ist, wird vieles nicht mehr so sein wie vorher. Der wirtschaftliche Schaden wird groß sein. Ganze Industrien könnten verschwinden oder sich völlig verändern. Aber es werden auch neue Boombranchen entstehen. Wir werden anders arbeiten. Weniger reisen. Vielleicht rücksichtsvoller gegenüber der Umwelt sein. Respektvoller auch gegenüber Politikern, die verantwortungsvoll, nicht populistisch handeln. Wir werden anders miteinander reden und uns anders begegnen. Vielleicht dankbarer für vieles, was bisher selbstverständlich erschien. Wirtschaftlicher Aufschwung. Rauschende Partys. Bewusster Genuss. Gesellschaft und Geselligkeit – und vor allem Freiheit – werden wieder ein Geschenk sein. Vielleicht grüßen sich die Menschen dann so ähnlich wie in Thailand. Die eigenen Hände aneinanderlegen. Leichte Verbeugung. Lächeln. Das Lächeln wünsche ich mir wirklich. Vor allem in Deutschland. Es gibt kein Volk, das so wenig lacht wie die Deutschen. Vielleicht hinterlässt Corona uns ein Lächeln. Wenn es dann vorbei ist.
Ein Lächeln der Dankbarkeit.