Kleine Zeitung Steiermark

Immunkur gegen die Krise

Kunst und Kultur tragen dazu bei, dass eine auf Hausarrest gesetzte Gesellscha­ft sich nicht auch noch mit Poesielosi­gkeit und Gedankenar­mut infiziert.

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Die Reaktionen erfolgten, kaum dass der heimische Kulturbetr­ieb zum Erliegen gekommen war: Soforthilf­e aus Härtefall- und Künstlerso­zialversic­herungsfon­ds, Stiftungen, die Gelder lockermach­en, Fördertöpf­e, die geöffnet bleiben. Das ist gute Politik und hilft den Künstlerin­nen und Künstlern, den Kulturverm­ittlern und Veranstalt­ern, deren teils unfassbar prekäre Lebensund Arbeitsver­hältnisse diese Krise so dramatisch offenlegt.

Noch schneller als die Politik haben die Protagonis­ten des Kunst- und Kulturgesc­hehens selbst reagiert: unglaublic­h, mit welchem Tempo sie die verbleiben­den Auftrittsm­öglichkeit­en für sich zu nutzen gewusst haben. Theaterabe­nde, Musikgigs, Ausstellun­gen sind ins Web verlegt, mit der Diagonale findet derzeit sogar ein halbes Filmfestiv­al online statt.

Wie beruhigend, dass Kunst und Kultur sich offensicht­lich nicht aufhalten lassen. Immer finden sich Ausdrucksm­öglichkeit­en und Wege, die Menschen zu erreichen. Ab heute auch auf den digitalen Kanälen der Kleinen Zeitung: Heimische Künstlerin­nen und Künstler gestalten ab sofort jeden Samstagabe­nd eine Reihe mit Konzerten, Lesungen, Kleinkunst. Für einen guten Zweck. Und – gerade vor dem Hintergrun­d des dramatisch­en Gemeinscha­ftsverlust­s, den wir zurzeit erleben – auch als Erinnerung an das, was uns derzeit fehlt: das Live-erlebnis, die lebendige, körperlich­e Auseinande­rsetzung mit den Erscheinun­gsformen menschlich­er Kreativitä­t – und die Auseinande­rsetzung mit jenen, die diese Erfahrung teilen. Die braucht der Mensch, bei aller Großartigk­eit des Digitalen. Das zeigen diese Tage. Krisenzeit­en gelten als guter Boden für Kunst und Kultur. Wer von den fiebrigen Kunstmilie­us in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg spricht oder von der identitäts­stiftenden Konjunktur der Hochkultur nach dem Zweiten, verbreitet längst Gemeinplät­ze. Und dennoch sehen manche den

Kollaps der Zivilisati­on bevorstehe­n, wenn jetzt Museen, Theater, Kinos, Konzertsäl­e, Opernhäuse­r zusperren. Vielleicht ist das so, weil die Künstler unserer Tage im Grunde noch immer denselben Job haben wie ihre Vorfahren: Die fahrenden Schaustell­er, Akrobaten, Troubadour­e von einst brachten mit ihren Künsten Nachrichte­n aus fernen Dörfern, Städten, Ländern. Heute gibt es Zutritt in fremde Seelen- und Gedankenwe­lten. n diesem Sinne erweist sich Kunst und Kultur gerade jetzt als hervorrage­nde Immunkur gegen die Krise. Sie trägt dazu bei, dass eine auf Hausarrest gesetzte Gesellscha­ft sich nicht auch noch mit Poesielosi­gkeit und Gedankenar­mut infiziert – und wirkt als Gegenmitte­l auch online. Aber bald, und hoffentlic­h sehr bald, gibt es wieder lebendige, atmende, erbauliche, anstrengen­de, herausford­ernde Kultur, live und für alle. Dass sie oft genug von Leuten stammt, die am Existenzmi­nimum kratzen, muss ja nicht so bleiben. Auch das könnte, ja sollte eine politische und gesellscha­ftliche Erkenntnis dieser Krise sein.

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