„Wirmüssen die Wende in Graz jetzt einleiten“
DGemeinderat die Debatte, warum wir nicht mutiger sind. Ich habe dort gesagt: Seit ich Bürgermeister bin, hatte jede Partei das Verkehrsressort, wir, die Grünen, die FPÖ, jetzt die KPÖ. Ich halte nichts von der Politik der Zurufe, welche Gasse wir sperren sollen, oder gegenseitigen Vorwürfen. Jeder hatte schon Gelegenheit, mehr Mut zu beweisen. Die Verkehrswende braucht Zeit und Strategie.
Mailand oder Berlin nützen die Krise, um den öffentlichen Raum neu zu verteilen. Brüssel hat das Zentrum in eine Begegnungszone verwandelt, Fußgängern und Radfahrern Vorrang eingeräumt …
TDas sind doch meist Städte, die verkehrspolitisch jahrelang nichts getan haben. Wir in Graz haben drei Straßenbahnlinien in Planung, wir investieren 100 Millionen Euro in zehn Jahren in neue Radwege, ein Budget, das es sonst nur für den Autoverkehr gegeben hat. Das wird Graz verändern. Ich bin genauso ungeduldig wie Sie, mir geht es zu langsam. Aber es braucht ein Gesamtkonzept, keinen Aktionismus, den ich vielleicht wieder zurücknehmen muss. Wir haben die Botschaft verstanden, der Mut steigt. Wir wollen nicht nur Radhauptstadt Österreichs sein, sondern zu einer Europas aufsteigen, von Kopenhagen, Amsterdam lernen.
Stadtchef Nagl hat „die Botschaft verstanden“. Er will Autos Platz wegnehmen und ihn Fußgängern und Radlern geben.
Dort hat man dem Auto Platz weggenommen, weil eine Wende ohne Umverteilung des öffentlichen Raums nicht funktioniert …
Wir sehen die Trends. In der Coronakrise haben die Grazer massiv aufs Rad umgesattelt. Sie steigen beim Auto um vom Besitz zum Gebrauch – Carsharing-modelle boomen. Antriebsformen werden umweltfreundlicher. Das Virus lehrt uns, Gesundheit wird wichtiger. Wer weniger im Auto, mehr auf dem Rad sitzt, ist fitter, widerstandsfähiger. Aber wir wissen auch, dass 40 Prozent aller Autofahrten in Graz unter fünf Kilometern liegen, 60 Prozent noch unter zehn Kilometern. Das sind alles Wege, die man wunderbar mit dem Rad erledigen kann.
Ich gehe zu Fuß, ich habe es ja nicht weit, fahre manchmal mit der Vespa oder mit dem Dienstwagen, wenn ich viele Termine auswärts habe. Privat bin ich immer öfter mit dem Rad unterwegs. Die Mobilitätsumfrage unter städtischen Mitarbeitern zeigte: Je ein Drittel fährt mit dem Rad, den Öffis und mit dem Auto zur Arbeit. Dieser Modal Split lässt sich noch verbessern. Die Krise hat auch gezeigt, wie gut Homeoffice funktioniert. Nicht an allen Tagen, aber teilweise werden Dienstgeber, auch die Stadt, Homeoffice forcieren. Das ist auch ein Weg, um den Verkehr weiter zu reduzieren. Das wäre vor allem für Einpendler wichtig.
Dem Rathaus fehlte immer der Mut, Platz für Autos zu beschneiden ...
Wir haben den Trend erkannt, die Botschaft verstanden. Nur eine Zahl: In Graz gab es vor zehn Jahren zehn Radlwerkstätten, heute sind es 35. Ja, der Radwegausbau kostet Parkplätze und wir pflanzen massiv neue Bäume, das kann in Gassen bis zu einem Drittel der Parkplätze kosten. Aber wir müssen bei Verkehr und Klima in Graz die Wende einleiten.
Loten Verkehrsexperten aus, wie hoch die Radwegequalität in Städten ist, fragen sie gerne: Würden Sie Ihre Kinder da alleine fahren lassen? Also wir ja eher nicht.
Die Menschen wollen mehr Raum in der Stadt, mehr fürs Fahrrad, Plätze,
auf denen sie sich aufhalten können, und weniger für Autos. Es
wird den Streit um Parkplätze geben. Ich bin bereit, das auszustreiten.
Bürgermeister Siegfried Nagl fahren. Und ich als Autofahrer habe beschlossen, mich nicht mehr über Radler zu ärgern, ihnen Vorfahrt zu geben. Im Auto ist man der Stärkere und muss der Schutzengel des Schwächeren sein.
Konflikte gibt es auch zwischen Fußgängern und Radlern, etwa in der Schmiedgasse oder in Parks. Soll man Radler aus der Schmiedgasse verbannen, dafür die Raubergasse zur Radstraße machen?
Ja, wir werden den Mut haben, auch größere Lösungen zu entwickeln, aber in der Raubergasse, sagen mir die Experten, wäre das nicht gut zu organisieren. Wir sollten Radfahrern auch eine Route durch den Stadtpark öffnen. Aber dafür müssen sie sich vom Schanzgraben fernhalten. Wir brauchen sichere Räume fürs Flanieren, wo man Kinder laufen lassen kann.
Die Regierung hat ja erste Pakete geschnürt, um Gemeinden Investitionen nach der Krise zu erleichtern. Ich erwarte mir aber noch die Nahverkehrsmilliarde, mit der der Bund ÖVInvestitionen in Landeshauptstädten mitträgt. Nächste Woche kommt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler nach Graz, da werden wir darüber reden. Die Menschen wollen mehr Raum in der Stadt, mehr fürs Fahrrad, Plätze, auf denen sie sich im Alltag aufhalten können, und weniger für Autos. Diese Formel steht, auch weil in Graz immer mehr Menschen leben – mit Nebenwohnsitzen 338.000. Es wird den herausfordernden Streit um den öffentlichen Raum, um Parkplätze geben. Ich bin bereit, das auszustreiten, aber als Verfechter der Evolution, nicht der Revolution.