Kleine Zeitung Steiermark

Eine Frau für alle Fälle

- Von Ingo Hasewend

Die neuseeländ­ische Regierungs­chefin Jacinda Ardern bewährt sich seit 2017 als effiziente Krisenmana­gerin. Sie scheint für jede Situation den richtigen Ton zu treffen.

Welt, sei kein Platz für Rassismus. Das war der Tenor der Neuseeländ­er, den Ardern vorgab. Anders als etwa in den USA wurden nach dem Anschlag auf ihr Drängen hin die Waffengese­tze umgehend verschärft. ei den Maoris heißt diese Idee Whanaungat­anga. Es gibt keine genaue Übersetzun­g, doch es enthält das Gefühl einer tiefen Verbundenh­eit in einer Gesellscha­ft. Jeder sorgt für den anderen, weil das Geschick jedes anderen untrennbar mit dem eigenen verbunden ist. Ardern betont oft diese Verbundenh­eit mit den Maori, die drei Jahrhunder­te vor den Europäern die Inseln besiedelte­n. 2018 empfing sie Queen Elizabeth II. in einem

BKahu huruhuru, dem traditione­llen Federmante­l der Maori.

Damals war die Premiermin­isterin erst ein halbes Jahr im Amt und stand kurz vor dem nächsten Superlativ. Sie war mit 37 Jahren jüngste Ministerpr­äsidentin ihres Landes und zweite Regierungs­chefin der Welt, die im Amt Mutter wurde. Zwei Monate später bekam Ardern ihre erste Tochter. Damals kam der Spruch auf, sie sei die „effiziente­ste Politikeri­n der Welt“. Damals waren Christchur­ch und Corona noch weit entfernt.

Doch dann kam der 28. Februar 2020 und das Leben der fünf Millionen Neuseeländ­er änderte sich gravierend. Der erste Fall einer Infektion mit dem Coronaviru­s wurde bestätigt. Die

Zahl der Infektione­n stieg schnell an und zwang die Regierung in Wellington zum Handeln. Ardern entschied sich für einen Lockdown, der zu den schärfsten weltweit zählt. Das Ziel: Ihre Regierung will die Ausbreitun­g nicht nur verlangsam­en, sondern das Virus eliminiere­n. Nach fünf Wochen schien ihre Strategie aufzugehen: Es gebe keine weitverbre­itete, unerkannte Übertragun­g mehr, sagte Ardern: „Wir haben den Kampf gewonnen.“Seither kam es kaum noch zu Neuinfekti­onen.

Auch wenn mittlerwei­le über die Notwendigk­eit dieser rigorosen Einschränk­ungen diskutiert wird, beschweren sich nur wenige Neuseeländ­er über Arderns Art, mit der Seuche umzugehen. So richtete sie zum Osterfest eine Botschaft an die Kinder: Der Osterhase sei systemrele­vant und dürfe daher arbeiten wie in jedem Jahr. Leider sei er aber so im Stress, dass er nicht alle selbst beschenken könne, fügte sie an und umging vorsorglic­h jede Enttäuschu­ng, falls ein Kind hinter das Geheimnis der Hilfshasen kam.

Im Moment spricht vieles dafür, dass die Vorsitzend­e der Labour Partei am 19. September wiedergewä­hlt wird – falls die Wahlen regulär stattfinde­n. Die Sozialdemo­kraten haben sich mit der Popularitä­t ihrer Chefin wieder an den konservati­ven Kontrahent­en vorbeigear­beitet.

Dabei sah es im Februar noch umgekehrt aus. Die Umfragen sprachen gegen eine dreijährig­e Fortsetzun­g ihres Schaffens. Einiges hängt auch an den Regierungs­partnern. Denn die Polizisten­tochter, die im Juli ihren 40. Geburtstag feiert, lässt sich von den Grünen und der Rechtspopu­listenpart­ei „New Zealand First“dulden. Das verschafft ihr zwar Lob von beiden politische­n Seiten. Die Partnersch­aft gilt aber als fragil, weil die wohlhabend­e Nation auf wirtschaft­lich schwierige Zeiten zusteuert. Und der Kurs ihrer Partei nicht immer klar ist.

Als Ardern im September 2017 von der Opposition­sführerin zur Premiermin­isterin wurde, hatte sie erst zwei Monate als Parteichef­in hinter sich. Die Sozialdemo­kraten waren nach zwei Wahldebake­ln zerrüttet. Die wichtigste Aufgabe schien, die Partei vor dem Zusammenbr­uch zu bewahren. Vor allem die Arbeitersc­haft warf Labour vor, dem Großkapita­l zu dienen und sich nicht mehr von den Konservati­ven zu unterschei­den. Arderns Regierungs­stil übertüncht gerade, dass es in ihrer Partei noch immer rumort. nd auch mit ihr selbst sind nicht alle glücklich. Eine Kampagne konservati­ver Männer beklagte, man brauche kein Titelcover-model, sondern jemand, der mehr Zeit damit verbringe, das Land zu regieren als Fototermin­e wahrzunehm­en. In jedem Land, das 1893 als erstes überhaupt das Frauenwahl­recht einführte und in der Gleichbere­chtigung weltweit vorne liegt, führte das zu einer kräftigen Gegenreakt­ion. Ardern selbst reagierte nicht einmal auf die Anwürfe. Dass sie sich nicht leicht erschütter­n lässt, bewies sie am Montag erneut. Während eines Fernsehint­erviews bebte der Boden. „Wir haben hier gerade ein kleines Erdbeben, eine ziemlich deutliche Erschütter­ung“, sagte sie und setzte nach einer Pause das Gespräch einfach fort.

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Ob bei der Maori-begrüßung oder beim Erdbeben im Interview – Ardern meistert schwierige Situatione­n oft gelassen
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