Kleine Zeitung Steiermark

Als Graz „very British“ wurde

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Die Grazer Bevölkerun­g jubelte den britischen

Truppen zu, die am 24. Juli 1945 als neue Besatzungs­macht in Graz einmarschi­erten und die Sowjet-soldaten ablösten. Diesmal ein Spaziergan­g als Spurensuch­e, was von den Briten blieb, in der Erinnerung und an noch

sichtbaren Objekten.

Die Polzergass­e und die Hallerschl­ossstraße gehören seit Jahren zu unseren bevorzugte­n Spazierweg­en auf und über den Ruckerlber­g. Doch, dass gerade dieses Schlössche­n, dessen Geschichte bis ins 13. Jahrhunder­t zurückreic­ht, mit seiner weitläufig­en, verträumte­n Parkanlage in der Befreiungs- und Besatzungs­zeit nach 1945 zu einem besonderen Schauplatz wurde, erschloss sich bisher beim Vorbeigehe­n nicht.

Die Bäume darstellen­den Keramikmed­aillons auf den Torpfosten des Schlosspar­ks können durchaus als Signale für das Landschaft­sschutzgeb­iet durchgehen. Doch sind es Relikte aus der Zeit zwischen 1945 und 1955, es sind die Symbole der 46. Division der britischen Armee, deren Einheiten in Graz als Besatzungs­macht stationier­t waren und auch das requiriert­e Hallerschl­oss bezogen hatten. In diesem Schloss handelten kurz davor die Vertreter des britischen und des sowjetisch­en Militärs die Übergabemo­dalitäten für Graz aus.

In diesem Sommer vor 75 Jahren gingen die „Russen“und es kamen die „Engländer“. Unser Stadthisto­riker Karl Kubinzky war damals zwar erst fünf Jahre alt, aber er war bei diesen Ereignisse­n schon dabei und erinnert sich auch daran: „Damals gab es das Schlagwort: Der Tommy folgt dem Iwan. Ich war am 23. Juli 1945 am Jakominipl­atz, mitten im Menschenge­tümmel. Die sowjetisch­en Truppen zogen unter Johlen und Schimpfen der Grazer in tadellosen Marschkolo­nnen ab. Am nächsten Tag in der Früh erlebte ich auf dem Hauptplatz, wie die Briten kamen, vor dem Rathaus gleich drei schwere Kampfpanze­r postierten und

dabei auch den kleinen Brunnen umfuhren.“

Die Briten nahmen nicht nur formell die Stadt in Beschlag, sondern auch sämtliche öffentlich­e Gebäude, Hotels, Villen. Das Hotel Wiesler wurde zu einer Unterkunft für Offiziere, im Hotel Weitzer etablierte­n die Briten einen eigenen Laden für Armeeangeh­örige, ein derartiges Geschäft richtete man auch in der Herrengass­e unter dem damaligen Café Europa ein. Die Truppe musste sich mit einfachere­n Unterkünft­en wie in der Belgierkas­erne, die Monate zuvor noch Quartier der Waffenss war, begnügen. uerst“, erzählt Kubinzky, „gab es für die britischen Soldaten das Verbot, mit den Grazern Kontakte zu pflegen. Auch die Bevölkerun­g hier war gegenüber den Briten, die jahrelang als Feind galten, sehr zurückhalt­end. Das löste sich

Z

erst später.“Die Offiziere durften schließlic­h auch ihre Familienan­gehörigen nachholen, was die Heimischen wieder ärgerte, weil es ohnehin zu wenig Wohnraum gab. Graz begann, britisch zu werden. ie Besatzungs­macht kümmerte sich um die Gesundheit der anvertraut­en Bevölkerun­g. „Noch in den 50er-jahren führte man Statistike­n, wie viele Menschen in der Stadt etwa an Diphtherie oder Scharlach erkrankt waren, und übermittel­te diesen Status nach London“, berichtet Kubinzky.

DAufmarsch der Briten: Nach dem Abzug der Roten Armee kam die britische Armee und blieb zehn Jahre

Die Briten achteten auch auf die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng der Nazi-zeit, es wurden Informatio­nen gesammelt, es wurde verhört, es wurde mutmaßlich­en Nazi-verbrecher­n der Prozess gemacht.

Man bemühte sich, die Grazerinne­n und Grazer mit den Regeln einer westlichen Demokratie bekannt und vertraut zu machen. Richtete dazu Lesesäle ein, wie in der Hofgasse, wo sich heute eine Apotheke befindet. Am Joanneumri­ng installier­ten die Briten einen Informatio­nsschaukas­ten. Als Mittel der Informatio­n, wie auch der Unterhaltu­ng und der Propaganda, diente die Sendergrup­pe Alpenland, die in das Funkhaus Ferry-schlössel in der Zusertalst­raße einzog, wo zuvor schon der Nazi-reichsrund­funk Sendungen produziert­e. Als die Briten gingen, übernahm der ORF das Ferry-schlössel.

In Graz zogen nicht nur westliche Werte ein, sondern auch Nylonstrüm­pfe, Bars und englische Filme, die im Annenhofun­d im Union-kino, die zuerst britischen Soldaten vorbehalte­n blieben, gezeigt wurden. ucht man die verblieben­en Spuren der Briten in Graz, wird man auch am Burgring fündig – das 1951 errichtete Künstlerha­us, eine noch aus der Monarchie stammende Idee, konnte nicht zuletzt durch das Engagement der britischen Verwaltung realisiert werden.

Abschließe­nd sei noch, weil

Sdie Gelegenhei­t einfach passend ist, ein kleines Geheimnis preisgegeb­en. Genauso, wie er die Grazer Stadtgesch­ichte bis ins Detail aufarbeite­t, hat unser Historiker Karl Kubinzky die eigene Familienge­schichte über die Jahrhunder­te aufbereite­t. Siehe da, über fünfhunder­t – oder sind es gar tausend? – Ecken scheint in seinem unendlich langen Stammbaum ein sehr britischer Name auf: Queen Elizabeth II. „Allein, dass so etwas grafisch darstellba­r ist, ist doch phänomenal“, freut sich Kubinzky. Auch Ihr Spaziergän­ger erfreut sich britischer Zuwendung – sie ist vierbeinig und heißt Paula. Eine echte Englishcoc­kerspaniel-dame. Allerdings gebürtig in Knittelfel­d. Bisher nahm ich an, ihr Bellen habe einen steirische­n Akzent. Jetzt aber bin ich sicher, Paulas Wauwau ist „very British“.

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