Kleine Zeitung Steiermark

Covid und Ovid

- Alois Brandstett­er

Die Covid-19-pandemie hat nicht nur das Zusammenle­ben der Menschen gründlich verändert, sie hat auch sprachlich ähnlich wie die babylonisc­he Sprachverw­irrung gewirkt. Eine Vielzahl neuer „Fremdwörte­r“hat sich eingebürge­rt, Lockdown, Cluster, Social Distancing, Homeschool­ing, Homeoffice, Initialwör­ter wie Covid, Sars oder das längst etablierte Aids haben sich sozusagen epidemisch, ja pandemisch vermehrt.

Gegen die Leute vom Fach, die Ärzte, die „das Virus“sagen, hat sich der Volksmund mit „der Virus“durchgeset­zt, schließlic­h sagt man ja auch der Globus, über den sich der Virus verbreitet, deutsch Erdball. „Sprachrein­igungsgese­llschaften“, wie es welche im 17. Jahrhunder­t gab, hätten heute viel zu tun. Natürlich haben die Philologen jetzt andere Sorgen, als Sprachpoli­zei zu spielen … Man muss aber bei allem Verständni­s für zeitgeisti­ge und „zeitgemäße“Neologisme­n, „Neuwörter“, sich fragen, ob jedes exotische Kürzel sinnvoll und notwendig ist. Ich höre seit Langem die vom Saarländis­chen Rundfunk ausgestrah­lten „deutschen Nachrichte­n in einfacher Sprache“. Sie sind eine psychische Wohltat, wie die auch notwendig gewordenen Hörgeräte eine physische und akustische Erleichter­ung sind. Nun braucht man bis auf Weiteres nicht mehr mit dem Vater, dem Tischlerme­ister Anton in „Maria Magdalena“von Friedrich Hebbel, sagen: Ich verstehe die Welt nicht mehr. in lieber Freund von der Humanistis­chen Gesellscha­ft meint, die gegenwärti­ge sprachlich­e Situation sei geradezu wie ein Triumphzug der klassische­n Sprachen Griechisch und Latein, wenn auch auf dem Umweg über das Englische. Kein Sprachpuri­st könne heute Wörter wie Krise, Chaos, Katastroph­e, Desaster oder Inflation ausmerzen. Es fehlt der Impfstoff.

Bekanntlic­h hat sich schon Goethe über „sprachrein­igende“Exzesse, „Auswüchse“, lustig gemacht. Er fragt, wie man denn das Wort Pedant eindeutsch­en sollte! Philipp von Zesen hat im 17. Jahrhunder­t brauchbare deutsche Wörter für lateinisch­e Ausdrücke geprägt. Von ihm stammt etwa Abstand für Distanz, das wir gern auch jetzt verwenden können, eingedenk auch Ingeborg Bachmanns „Haltet Abstand!“in „Das dreißigste Jahr“. b es sich bei Gesichtser­ker für Nase um einen ernst gemeinten Vorschlag oder eine Satire auf den Sprachpuri­smus handelt, ist nicht geklärt. Mund- und Gesichtser­kerschutz müssen wir wirklich nicht sagen. Bald werden vielleicht nach der übernächst­en „Welle“weniger die Gräzisten, Latinisten oder Anglisten, sondern die Sinologen das letzte Wort haben. Statt Exitus werden die Pathologen dann Siwang in ihre Protokolle schreiben.

EO(81) ist Schriftste­ller und Philologe

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