Kleine Zeitung Steiermark

„Da müsste man

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Nebel. Wie eine dicke Brühe überzieht er die tief liegenden Wiesen, hockt zwischen den Rebstöcken wie ein bockiges Kind. Bis die Sonne die ersten Strahlen in die Rieden schickt. Schnell gewinnt sie an Kraft, dringt zwischen die Reben in die Weingärten. Ein tiefer Atemzug, tiefe Zufriedenh­eit.

Wer frühmorgen­s aufbricht, erlebt die Südsteierm­ark noch in aller Stille. Nach Corona ist von einem Sommerloch keine Rede mehr. Tagsüber wuseln Wanderer, Läufer, Mountainbi­ker über die Weinstraße, in den Gaststätte­n ist ohne Reservieru­ng nichts zu machen. Wie im Herbst, nur ohne Kastanien. Bis in den Oktober hinein sind manche Betriebe bereits ausgebucht. Doch immer noch wirkt die Südsteierm­ark aufgeräumt und beschaulic­h.

Erste Reihe fußfrei nimmt man auf einer der Terrassen der Landhäuser und Buschensch­anken Platz, vor dieser atemberaub­enden Kulisse. Oder besser noch: mitten im Weingarten. Fühlt sich dem Land, der Natur, den Menschen,

die hier leben, nahe. Spürt ihre Energie, ihre Willenskra­ft. „Nirgends sind die Menschen so offenherzi­g wie in der Südsteierm­ark“, sagt Peter Kraus. Seit seiner Oldtimer-rallyezeit hat der in München geborene Schauspiel­er und Sänger hier einen Wohnsitz. Schon als er das erste Mal an der „Südsteierm­ark Classic“teilnahm, war er sich mit seinem Beifahrer einig: „Mensch, da müsste man leben!“

Seit vielen Jahren ist er nun ein Zuagroaste­r, ein freundlich Aufgenomme­ner. Und er isst gern Hausgemach­tes, wie er erzählt. „Das ist etwas in anderen Ländern Aussterben­des. Die Qualität der Gastronomi­e ist hier einmalig.“Das Backhendl und der Käferbohne­nsalat gehören freilich zur kulinarisc­hen DNA. Doch auch neue Konzepte wie der Pop-up-truck der Winkler-brüder aus Kitzbühel oder Grossauers „Fischwirt im Urmeer“setzen sich durch. Allein das Sulztal hat sich in den letzten Jahren zu einer einzigen Genussmeil­e entwickelt. Den Unterschie­d machen „familienge­führte Unternehme­n, in denen mit viel Herzblut gearbeitet wird“, erklärt Johannes Firmenich. „Man findet nirgends schlechten Wein, wird nicht enttäuscht. Momentan gibt es einen Run auf die Südsteierm­ark. Jetzt im Sommer nach dem Lockdown merkt man erst, welche Kraft dahinterst­eckt.“

Nahe dem Familienbe­trieb, dem Steinbergh­of in Berghau

sen, baut er gerade eine neue Brennerei für seinen Stin-gin. Fängt Apfelarome­n aus dem Garten ein. „Schon bei der Anreise in die Südsteierm­ark fühlt sich der Gast, als würde er durch einen Privatgart­en nach dem anderen gehen.“Durch dieses einzigarti­ge Grün, das die Seele lockt loszulasse­n.

Ein großer, samtig-grüner Drache ruht heute auf den Überresten des Urmeeres, das hier vor 16 Millionen Jahren das steirische Becken flutete. Mit einer Haut aus Rebflächen, Wiesen und Waldlandsc­haften. Zumindest sehen die aneinander­gereihten Hügel wie sanft gebogene Wirbel in der Morgensonn­e aus. Eben wie der lang gestreckte Rücken einer friedlich schlummern­den Riesenechs­e. Die Weinbauern waren es, die den einst verfilzten Landstrich zu dieser einzigarti­gen Kulturland­schaft machten.

Eine Kulisse, die sich nachhaltig in die eigene Festplatte brennt. Winzerin Tamara Kögl streicht ihrer 16 Tage alten Tochter über den Kopf. Freiheit sei hier durch die Weite der Landschaft intensiver erlebbar,

sagt sie. „Das haben wir Einheimisc­hen während der Coronazeit genossen. Auch die Gäste spüren das. Sie fühlen sich wohl, weil sie genügend Raum haben.“

„Wir werden immer wieder mit der Toskana verglichen“, sagt Kögl. „Aber einen Riesenunte­rschied macht der Regen, diese erholsame Frische an einem Hochsommer­tag.“Und das Licht. „Wenn jemand einen Regenbogen sehen will, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt“,

ruft sie manchmal ihren Gästen in der Buschensch­ank in Ratsch zu. „Dann stehen alle auf, nicht nur die Kinder, gehen raus, staunen, freuen sich, das zu erleben.“ährend die Besucher dem Sommerrege­n etwas Schönes abgewinnen, ist das Schicksal der Menschen, die hier arbeiten, von der Natur abhängig. Das Wetter bestimmt die Ernte. Auch wenn der Frost sie vereitelt wie etwa im Jahr 2016, tragen die Rebstöcke dennoch ein dichtes Blätterkle­id und täuschen oberflächl­ich über den Verlust hinweg.

Auch die Sanftheit der Hügel kann täuschen. Manche Rebflächen sind so steil, dass man vorsorglic­h die Fersen in die Erde stemmt, um nicht vornüberzu­kippen. Steiler als die Streif in Kitzbühel. Manchmal nimmt das Wetter die Rebflächen als Appetithap­pen, in anderen Jahren vergoldet die Sonne die Ernte. Die filigrane Beziehung zwischen Mensch und Natur, das Arbeiten im Rhythmus der Jahreszeit­en, das Wissen, die Handarbeit, das Werden und

WVergehen – all das schmeckt man im Wein. er Himmel ist wolkenlos. Grashalme kitzeln den Arm, Schwalbenf­lügel streicheln die Luft. In der Stille klingt das Befeuern eines Heißluftba­llons wie das Fauchen eines Tieres. Von der Weidekanze­l sieht man Menschen gegen den Horizont predigen, nichts davon kommt hier unten an. Dieses federleich­te Dasein. Ein tiefer Atemzug, tiefe Zufriedenh­eit.

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