Kleine Zeitung Steiermark

„Die Freude am Leben fällt dir nicht schwer“

- Von Wolfgang Fercher

Gestatten, Planktothr­ix rubescens. Aus dem Griechisch­en abgeleitet: ein im Wasser umherirren­des rötliches Haar. Zu Deutsch: Burgunderb­lutalge. Diese Algenart ist schuld daran, dass der Wörthersee so – ... an dieser Stelle bitte Ihr gewünschte­s Adjektiv à la wundervoll, pittoresk, großartig, surreal, etc. einsetzen ... – ist.

Je wärmer die Temperatur­en werden, desto tiefer zieht sich diese Planktothr­ix rubescens zurück in den See. In zehn bis 15 Meter Tiefe verharrt sie dann. Dort fühlt sie sich wohl und kann Nährstoffe aufnehmen, die durch die Zirkulatio­nen im Wasser so daherkomme­n. „Deshalb ist der See im Sommer so schön und klar“, sagt Roswitha Fresner. Und sie muss es wissen. Jedes Jahr untersucht Fresner mit dem Institut für Seenforsch­ung mehr als 40 Kärntner Seen. Für sie steht fest: „Der Wörthersee ist etwas Besonderes.“Damit wäre irgendwie schon ein wissenscha­ftlicher Beweis erbracht für die Faszinatio­n des 19,39 Quadratkil­ometer großen Binnengewä­ssers.

Dieses muss so einige Kosenamen über sich ergehen lassen: größte Badewanne der Alpen, Riviera Österreich­s oder gar Karibik der Alpen. Wegen der Farbe des Wassers – die einen meinen der See sei türkis, die anderen smaragdgrü­n – wäre es gewesen. Expertin Fresner kann auch das erklären: Verantwort­lich sind Kalkkrista­lle, die durch die Sauerstoff­produktion der Algen und Unterwasse­rpflanzen gen Boden sinken. Diese Teilchen verfärben die Sedimente im Uferbereic­h hellgrau. Und durch die Reflexion des

Der Sehnsuchts­ort Wörthersee feiert eine Renaissanc­e – weil er bezaubernd und berauschen­d ist.

Eine Ode mit Zwischentö­nen.

Lichtes schimmert der See in grünblauen Tönen. enug des Exkurses. Bietet sich der See so vor einem dar, kann man ihn eigentlich nicht nicht formidabel finden. Obwohl er eine „verbarrika­dierte Schönheit“ist, wie der Autor Egyd Gstättner einmal schrieb. Der Blick auf meterhohe Zäune, Hecken, Kameras, Alarmsyste­me mit Scheinwerf­ern bei den protzigen Villen rund um den See gibt ihm recht. Namedroppi­ng

Ggefällig? Ingrid Flick, Heidi Horten, Ferdinand Piëch, Karlheinz Grasser, Siegfried Wolf, Gaston Glock, Thomas Muster, Otto Retzer etc. residieren hier. An dieser Stelle ließe sich eine treffliche Neid- und Kapitalism­usdebatte führen. Oder eine Diskussion über die fragwürdig­en architekto­nischen Werke, die in den letzten Jahren in Seenähe errichtet wurden. Oder ein Lamento über den geringen Anteil öffentlich zugänglich­er Uferfläche­n. Letztlich

verschwend­ete Energie. Denn trotz dieser Einwände gibt es viele Gründe, sich in den Wörthersee zu verlieben. er Blick vom Lorettospi­tz bei der morgendlic­hen Laufrunde. Der Sonnenunte­rgang auf der Mittelbrüc­ke im Strandbad. Auf dem Stand-up-paddel-brett oder mit kräftigen Kraulzügen der Sonne entgegengl­eiten. Mit Elektroboo­t und Picknickko­rb vor der Halbinsel Walterskir­chen vor Anker gehen. Ein Glas Wein auf einer Seeterrass­e. Auf dem Schamandra-steg den Wind in den Haaren spüren und in Erinnerung­en schwelgen. Oder meditativ dem sanft hinund herwogende­n Schilfgras folgen. Gelassen wie der Gemütszust­and der Menschen, die hier verweilen. Der Blick von oben aus unterschie­dlichen Perspektiv­en: Zillhöhe, Pirkerkoge­l, Hohe Gloriette, Pyramidenk­ogel. Selbst die Aussicht von der Autobahnra­ststätte beeindruck­t. Allerorten­s omnipräsen­te Instagrama­bility!

Wie es ist, ganz mondän mit dem Motorboot zu den feinsten kulinarisc­hen Adressen zu düsen, müssen Sie die (sehr) Reichen und (oft weniger) Schönen

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fragen. Wer direkt am Wasser diniert, zahlt den Seeblick mit Handkuss mit.

Manch unberührte­s Kleinod lässt sich auch in einem Hort des Massentour­ismus finden. Wirkliche Wörthersee-aficionado­s brauchen Velden gar nicht. Wobei Promenade, Flaniermei­le und Blick auf die Bucht schon auch ganz nice sind, wie man heute sagt. Und natürlich das legendäre Schloss am Wörthersee, am wunderschö­nen Wörthersee. „Wo alle

Menschen Freunde sind. Und Rosen blüh’n im Sommerwind“, intonierte ein gewisser Ralf Christian das Titellied (von Rudolf Müssig und Franco Andolfo) der 90er-kultserie, die internatio­nal bieder als „Lakeside Hotel“vermarktet wurde. Weiter im Takt: „Tiefblauer Himmel, am Strand das Café. Kieselstei­nwege, glitzernde­r See. Der Zauber der Berge und Täler umher, die Freude am Leben fällt dir nicht schwer.“as soll man dieser Sternstund­e des Songwritin­g noch hinzufügen? Vielleicht das hier: „Man komponiert nicht, man wird komponiert von der Schönheit und Größe der umgebenden Natur.“So überliefer­t von Gustav Mahler, der sich im Wald oberhalb des Südufers sein „Komponierh­äusl“errichten ließ. Oder um es mit dem Kollegen Johannes Brahms zu sagen: „Der Wörthersee ist ein jungfräuli­cher Boden, da fliegen die Melodien, dass man sich hüten muss, keine zu treten.“

Im Coronajahr verstärkt sich die Renaissanc­e des Sees, die sich seit Jahren abzeichnet. Die Gründe für Touristen und Investoren:

W„Wasserqual­ität, Lokale und Geschäfte, Sicherheit, intakte Natur, Nähe zu Klagenfurt, Villach und Italien“, sagt Immobilien­makler Günther Seidl, der seit 20 Jahren Wörthersee-immobilien verkauft. Die Preise sind längst bar jeder Vernunft: Seeliegens­chaften (800 bis 1200 Quadratmet­er), so sie denn überhaupt auf den Markt kommen, kosten mittlerwei­le 5 bis 6 Millionen Euro. Dann doch lieber abtauchen zur Planktothr­ix rubescens.

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PICTUREDES­K, LAND KÄRNTEN, DANIEL RAUNIG, PRIVAT

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