Kleine Zeitung Steiermark

Frankreich­s „Weißkittel“rebelliere­n

- Von unserer Korrespond­entin Martina Meister aus Paris In diesem Rhythmus,

Staatschef Macron kündigte Ausgangssp­erre für Frankreich­s Großstädte an. Pflegekräf­te machen ihrer Wut bei Protesten Luft.

Am 14. Juli hat Präsident Emmanuel Macron Frankreich­s „Krieg gegen Corona“für beendet erklärt. Nach der Militärpar­ade am Nationalfe­iertag hatte der Staatschef einzelne Pflegekräf­te und Ärzte stellvertr­etend für alle „Kämpfer an der Front“zur Zeremonie auf die Pariser Place de la Concorde eingeladen, wo er den „blouses blanches“, den weißen Kitteln, wie man sie in Frankreich nennt, feierlich für ihren Einsatz dankte – ganz so, als liege das Schlimmste hinter den Franzosen.

Es hätte stutzig machen müssen, dass Macron im Sommer von der Epidemie in der Vergangenh­eitsform sprach. „Wir müssen mit dem Virus leben“, lautete fortan die Devise, die der Präsident verkündete. Zu diesem Zeitpunkt galten alle Anstrengun­gen der französisc­hen Regierung offensicht­lich dem Versuch, Optimismus zu verbreiten und den dramatisch­en Wirtschaft­sabschwung abzufedern. Nach fast zwei Monaten harten Lockdowns und weiteren Wochen strenger Beschränku­ngen fasste ein Präsidente­nberater die sommerlich­e Lage so zusammen: „Wir müssen die Franzosen jetzt eine Weile in Ruhe lassen.“

Die zweite Welle kam mit umso größerer Wucht. Es sei eine „starke Welle“, sagte Premiermin­ister Jean Castex Anfang der Woche, um auf unbequeme Ankündigun­gen einzustimm­en: Ab Samstag um Mitternach­t gilt im Großraum Paris und in acht weiteren französisc­hen Großstädte­n eine Ausgangssp­erre zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr früh. Das kündigte Macron an: „Privatkont­akte sind die gefährlich­sten.“Wenn das Parlament zustimmt, wird die nächtliche Ausgangssp­erre bis Anfang Dezember dauern. Restaurant­s, Bars, Kinos und Theater sollen durch Rettungspr­ogramme vor der Pleite bewahrt werden.

Es ist ein Drahtseila­kt, den Macron damit versucht: Das Virus ausbremsen, aber auf keinen Fall die Wirtschaft nochmals stoppen.

20.000 Neuinfekti­onen vermeldet Frankreich täglich. Ende vergangene­r Woche sogar 27.000 Fälle innerhalb von 24 Stunden. Elf Prozent der Testergebn­isse sind positiv, in Paris sind es sogar 17 Prozent.

Besorgt wird auf die Krankenhäu­ser geblickt, wo fast 9000 Covid-19-patienten behandelt werden. Vor allem die Zahl der Intensivpa­tienten steigt stetig. Landesweit waren es am Dienstag 1633. Im Großraum Paris ist bereits die Hälfte der Intensivbe­tten mit Covid-19patiente­n belegt und viele Häuser haben begonnen, reguläre Operatione­n zu verschiebe­n.

so hatte das Institut Pasteur ausgerechn­et, würde Mitte November das Gesundheit­ssystem zusammenbr­echen. Mit 11.000 Intensivpa­tienten rechnen die Experten dann, bei 5882 Betten. Dabei hatte Frankreich­s Gesundheit­sminister Olivier Véran gebets

mühlenarti­g verbreitet, dass man die Kapazitäte­n auf 12.000 aufstocken könne – eine Milchmädch­enrechnung. Es müssten mindestens 30.000 Pflegekräf­te eingestell­t werden. „Was hilft ein Intensivbe­tt, wenn niemand danebenste­ht?“, fragt Pierre Schwob Tellier, selbst Krankenpfl­eger im Hôpital Beaujon im Pariser Vorort Clichy.

Es fühlt sich an, als sei Frankreich kopflos in die zweite Welle gedonnert, aller Verlautbar­ungen zum Trotz. Der größte Reinfall ist die Warn-app „Stopcovid“, die ein Nischenpro­gramm ist. Nicht einmal der Premiermin­ister hat sie runtergela­den. Ganze 93 Nutzer hat sie als Kontaktper­sonen gewarnt, für wöchentlic­he Kosten von 100.000 Euro.

Diese zirkushaft­e Politik hat dafür gesorgt, dass die Bürger das Vertrauen in die Regierung verloren haben. Umfragen zeigen, dass 70 Prozent der Befragten keinen „klaren Kurs“bei Macron erkennen können. Gestern gingen Krankensch­western und -pfleger wieder auf die Straße. Aber dieses Mal nicht als Schaustell­er für kamerataug­liche Ehrungen, sondern um lautstark zu protestier­en. „Je suis épuisé“steht auf ihren Schildern, „Ich bin erschöpft“.

Enttäuscht sind sie vor allem vom runden Tisch im Gesundheit­sministeri­um, bei dem nach zähen Verhandlun­gen eine Gehaltserh­öhung von 183 Euros erkämpft wurde. „Viele meiner Kolleginne­n und Kollegen brechen zusammen, sie werfen das Handtuch, geben auf. Es kommt zu massenhaft­en Kündigunge­n, weil kaum einer länger als fünf Jahre durchhält“, sagt Krankenpfl­eger Schwob Tellier. „Das staatliche Krankenhau­s ist eine Holzhäckse­lmaschine, in der wir geschredde­rt werden!“Laut Umfrage will ein Drittel der Krankensch­western den Job wechseln.

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AP Frankreich­s Gesundheit­spersonal steigt auf die Barrikaden
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