Kleine Zeitung Steiermark

Porgy and Bess oder die Kunst der Natürlichk­eit

- „Porgy and Bess“ Wayne Marshall Thomas Götz

Mit George Gershwins „Porgy and Bess“gelingt dem Theater an der Wien das seltene Wunder einer in allen

Details stimmigen Opernprodu­ktion.

Der Abend beginnt, bevor die Lichter ausgehen. Kinder spielen, die Älteren würfeln oder üben akrobatisc­he Tänze. Ein Moment im Leben eines Armenviert­els. Behände klettert ein junger Mann auf die Peitschenl­ampe, klemmt den Strom ab und schließt seinen Ghettoblas­ter an. Wayne Marshall hebt den Stab, und der unwiderste­hliche Sog der Musik beginnt, seine Wirkung zu entfalten. Drei Stunden lang lässt George Gershwin sein Publikum nicht mehr aus dem Griff. Wie betäubt sitzt es im Theater an der Wien und wagt kaum, zur Pause zu applaudier­en.

Auf der Bühne türmen sich Container, aus denen Katrin Lea Tag einen Slum bauen ließ. Matthew Wild, der künstleris­che Leiter der Cape Town Opera und Regisseur des Abends, hat die Straße aus Charleston/south Carolina in einen anonymen europäisch­en Mittelmeer­ort verlegt. Hier hausen Menschen, die auf ihrer Flucht in Europa gestrandet sind. Weiß sind, wie von George Gershwin gefordert, nur die Polizisten und der Leichenbes­chauer.

Die lange Geschichte der Debatten über versteckte­n Rassismus in dem Stück, die das Programmhe­ft aufrollt, überspiele­n Wild und sein Team souverän. Sie vertrauen auf die Wucht der Tragödie, die Kraft der Musik George Gershwins und die Charaktere, die er vor 85 Jahren geschaffen hat. Den Zeigefinge­r zu erheben, erübrigt sich.

Wollte man nach Schwachpun­kten auf der Bühne suchen, man fände keine. Da ist keiner im ganzen Slum, der nicht hervorrage­nd singen und spielen kann, eine seltene Kombinatio­n auf Opernbühne­n. Wild fügte sie alle in penibler Detailarbe­it zu einem kompakten Ensemble von wunderbare­r Natürlichk­eit zusammen.

Porgy ist Eric Greene, ein zarter Hüne mit durchschla­gskräftige­m Bariton. Mit großer Innigkeit gestaltet er die Tragödie des Verkrüppel­ten, der seine große Liebe findet und wieder verliert. Jeanine De Bique als Bess kann beides zugleich: den Vamp geben und das an Drogen und Machomänne­r verlorene, schutzbedü­rftige Mädchen. Ihr heller, strahlende­r Sopran kommt wie selbstvers­tändlich dazu. Wild und brutal Norman Garrett als Crown. Den schleimige­n Drogendeal­er und Zuhälter Sportin’ Life gestaltet Zwakele Tshabalala mit trompetenh­aftem Tenor und fast akrobatisc­her Beweglichk­eit.

hat Porgy and Bess schon oft dirigiert. Mit sicherem Gespür für den Swing in dieser Musik lockt er aus dem Wiener Kammerorch­ester, verstärkt durch jazzerprob­te Musiker, die feinsten Nuancen der Partitur hervor.

Anhaltende­r Jubel für ein seltenes Opernereig­nis.

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