Porgy and Bess oder die Kunst der Natürlichkeit
Mit George Gershwins „Porgy and Bess“gelingt dem Theater an der Wien das seltene Wunder einer in allen
Details stimmigen Opernproduktion.
Der Abend beginnt, bevor die Lichter ausgehen. Kinder spielen, die Älteren würfeln oder üben akrobatische Tänze. Ein Moment im Leben eines Armenviertels. Behände klettert ein junger Mann auf die Peitschenlampe, klemmt den Strom ab und schließt seinen Ghettoblaster an. Wayne Marshall hebt den Stab, und der unwiderstehliche Sog der Musik beginnt, seine Wirkung zu entfalten. Drei Stunden lang lässt George Gershwin sein Publikum nicht mehr aus dem Griff. Wie betäubt sitzt es im Theater an der Wien und wagt kaum, zur Pause zu applaudieren.
Auf der Bühne türmen sich Container, aus denen Katrin Lea Tag einen Slum bauen ließ. Matthew Wild, der künstlerische Leiter der Cape Town Opera und Regisseur des Abends, hat die Straße aus Charleston/south Carolina in einen anonymen europäischen Mittelmeerort verlegt. Hier hausen Menschen, die auf ihrer Flucht in Europa gestrandet sind. Weiß sind, wie von George Gershwin gefordert, nur die Polizisten und der Leichenbeschauer.
Die lange Geschichte der Debatten über versteckten Rassismus in dem Stück, die das Programmheft aufrollt, überspielen Wild und sein Team souverän. Sie vertrauen auf die Wucht der Tragödie, die Kraft der Musik George Gershwins und die Charaktere, die er vor 85 Jahren geschaffen hat. Den Zeigefinger zu erheben, erübrigt sich.
Wollte man nach Schwachpunkten auf der Bühne suchen, man fände keine. Da ist keiner im ganzen Slum, der nicht hervorragend singen und spielen kann, eine seltene Kombination auf Opernbühnen. Wild fügte sie alle in penibler Detailarbeit zu einem kompakten Ensemble von wunderbarer Natürlichkeit zusammen.
Porgy ist Eric Greene, ein zarter Hüne mit durchschlagskräftigem Bariton. Mit großer Innigkeit gestaltet er die Tragödie des Verkrüppelten, der seine große Liebe findet und wieder verliert. Jeanine De Bique als Bess kann beides zugleich: den Vamp geben und das an Drogen und Machomänner verlorene, schutzbedürftige Mädchen. Ihr heller, strahlender Sopran kommt wie selbstverständlich dazu. Wild und brutal Norman Garrett als Crown. Den schleimigen Drogendealer und Zuhälter Sportin’ Life gestaltet Zwakele Tshabalala mit trompetenhaftem Tenor und fast akrobatischer Beweglichkeit.
hat Porgy and Bess schon oft dirigiert. Mit sicherem Gespür für den Swing in dieser Musik lockt er aus dem Wiener Kammerorchester, verstärkt durch jazzerprobte Musiker, die feinsten Nuancen der Partitur hervor.
Anhaltender Jubel für ein seltenes Opernereignis.