Kleine Zeitung Steiermark

MARKUS HENGSTSCHL­ÄGER

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geboren am 28. 4. 1968 in Linz. Genetik-studium an der Uni Wien, Promotion am Vienna Biocenter. Vorstand des Instituts für Medizinisc­he Genetik. Bücher: u.a.

„Die Macht der Gene“(2006), „Durchschni­ttsfalle“. Neu: „Die Lösungsbeg­abung“, Ecowin. ein Glück ist.“Es ist noch ein Glück, dass uns diese Pandemie in Zeiten einer digitalen Transforma­tion getroffen hat, die jetzt auch dadurch beschleuni­gt wurde. Man möge sich nur vorstellen, was zum Beispiel ohne Zoom, Skype oder Online-bestellung­en gewesen wäre. Die Pandemie hat uns auch gezeigt, dass ein kleiner Beitrag ein großer sein kann, wenn es um die Gesamtlösu­ng geht. Wer sich nicht bewegt und mit offenen Augen und Ohren lösungsbeg­abt durch die Welt geht, kann weder finden, was er sucht, noch, was er nicht sucht.

WTeil 1/8

Begann die Geschichte der Vereinigte­n Staaten mit der Unabhängig­keitserklä­rung 1776 oder schon davor mit der Ankunft der ersten schwarzen Sklaven? Über diese Frage ist in den USA ein erbitterte­r Kulturkamp­f entbrannt.

ashington, D.C, Mitte September. Die Rotunde des Nationalar­chivs ist in Dunkelheit getaucht. Die wenigen Gäste sind im dämmrigen Licht kaum auszumache­n. Scheinwerf­er erhellen das Rednerpult. Dahinter steht mit entschloss­ener Miene Donald Trump. Die Gründervät­er der Vereinigte­n Staaten, die den amerikanis­chen Präsidente­n auf zwei großen Wandgemäld­en rechts und links flankieren, wirken gespenstis­ch fern. Ihnen gilt aber die gesamte Aufmerksam­keit an diesem Tag. Der Präsident verkündet die Schaffung eines neuen Gremiums, der sogenannte­n „1776-Kommission“, welche die „patriotisc­he Erziehung“in Amerikas Schulen „wiederhers­tellen“soll.

Patriotisc­he Erziehung, dieser Begriff erinnert mehr an das kommunisti­sche China als an das Bildungssy­stem eines freien Landes. Trump und seine Unterstütz­er fürchten jedoch um das Ende der amerikanis­chen Geschichte. Zumindest ist das ihr Vorwand. Dutzende Statuen historisch­er Persönlich­keiten, darunter die des ersten Präsidente­n des Landes, George Washington, und jene des Hauptautor­s der Unabhängig­keitserklä­rung, Thomas Jefferson, beides Gründervät­er der USA, sind in den vergangene­n Monaten von linken Demonstran­ten gestürzt worden. Angeführt werden die Proteste von der „Black Lives Matter“-bewegung, die die „weißen alten Männer“als Teil einer rassistisc­hen weißen Vorherrsch­aftsideolo­gie sieht und Abraham

Lincolns Stilisieru­ng der USA zur „letzten besten Hoffnung der Menschheit“ablehnt.

Intellektu­ell angefeuert wurde und wird die „Black Lives Matter“-bewegung vom sogenannte­n „The 1619 Project“des „New York Times Magazine“. Dabei handelt es sich um eine 2019 konzipiert­e, laufende Artikelser­ie, welche die Rolle der Sklaverei und die Unterdrück­ung der Afroamerik­aner als zentrale Faktoren der amerikanis­chen Geschichte thematisie­rt.

1619 ist demnach eine Chiffre. Es ist das Jahr, in dem die ersten Sklaven aus Afrika in die englische Kolonie Virginia geschafft wurden, und damit, so die Serienauto­ren, das eigentlich­e Jahr, in dem Amerikas Geschichte begann, und nicht 1776, das Jahr der Unabhängig­keitserklä­rung der dreizehn Kolonien von Großbritan­nien. Habe es unter britischer Herrschaft nämlich Pläne zur Abschaffun­g der Sklaverei gegeben, sei es den Gründervät­ern der USA, von denen einige wie Washington und Jefferson Sklavenbes­itzer waren, hauptsächl­ich darum gegangen, durch ihre Abspaltung vom Mutterland die Sklaverei in Nordamerik­a zu erhalten. uch wenn die Beweislage für Pläne der Briten sehr dünn ist, stellt „The 1619 Project“zweifelsoh­ne ein wichtiges Korrektiv in der amerikanis­chen Geschichts­schreibung dar. Einige Historiker kritisiere­n jedoch, dass in der Serie die historisch­e Genauigkei­t für heutige ideologisc­he Präferenze­n geopfert werde. Die politi

AToxische Geschichte: Donald Trump bei seiner Rede am 17. September in der Rotunde des Nationalar­chivs in Washington

Rechte und Donald Trump versuchen nun daraus Kapital zu schlagen, um den Kulturkamp­f in den USA anzuheizen.

Attacken auf die Amerikanis­che Revolution und die Gründervät­er des Landes gelten unter Republikan­ern nach wie vor als Sakrileg. In ihren Augen diskrediti­eren solche Angriffe indirekt die heimliche Staatsreli­gion in den USA, die Verfassung von 1787, und stellen damit die Existenz des amerikanis­chen Staates selbst infrage. Mit der Behauptung, die Amerikanis­che Revolution sei ein Fehler gewesen, da sich ohne das Blutvergie­ßen im 18. Jahrhunder­t in den USA eine friedliche­re, toleranter­e Gesellscha­ft nach dem Vorbild Kanadas entwickelt hätte, haben einige linke Kommentato­ren zusätzlich Öl ins Feuer gegossen und in den Augen zahlreiche­r Republikan­er den Verdacht auf politische

Blasphemie erhärtet. Doch um diesen von Trump instrument­alisierten Kulturkamp­f besser zu verstehen, muss man über die außergewöh­nliche Wichtigkei­t der Gründervät­er und der Verfassung für die politische Kultur des Landes Bescheid wissen. ie USA sind seit ihrer Gründung ein Land der Widersprüc­he. Das manifestie­rte sich bereits im Unabhängig­keitskrieg (1775–1783). Im Gegensatz zu vielen anderen Revolution­en war die Amerikanis­che eine „von oben“, ein Aufstand der konservati­ven Elite des Landes. Diese Elite, angeführt von George Washington, Thomas Jefferson, Benjamin Franklin und John Adams, war gegen eine radikale Neuordnung der amerikanis­chen Gesellscha­ft. Vielmehr wollte sie eine per Rechtsweg durch Juristen verordnete Revolution. Aus diesem Grund liest sich die Unsche

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auch wie eine eidesstatt­liche Erklärung. Für eine Revolution des gemeinen Volkes war kein Platz. Stattdesse­n ging es darum, eine konservati­ve Ordnung nach Vorbild der antiken römischen Republik zu schaffen, in der eine ausgewählt­e männliche Elite im Geiste der Aufklärung das Land im Namen der amerikanis­chen Bürger regieren sollte.

Dieses Vorhaben stand von Anfang an im Widerspruc­h zu demokratis­chen Prinzipien. Doch hatte der Einfluss der antiken römischen Geschichte zwei direkte Konsequenz­en. Die positive: Washington, der erste Präsident der USA, sah sich als moderner Cincinnatu­s. So wie der römische Staatsmann, der freiwillig aus dem Amt des Diktators schied, trat er nach zwei Amtszeiten ebenfalls aus freien Stücken ab. Damit schuf er den Präzedenzf­all einer friedliche­n

nach Wahlen, die sich in den USA bis heute erhalten hat. Die negative Folge: Das Vorbild Roms formte und verfestigt­e neben dem Alten Testament die Vorstellun­g, dass Sklaverei natürliche­r Teil einer modernen Republik sein könnte – zumindest vorübergeh­end. n der Idee einer rechtsstaa­tlichen, konservati­ven Revolution nach Vorbild des antiken Rom liegt auch der Ursprung der fast religiösen Verherrlic­hung der Gründervät­er der USA durch die Mehrheit der politische­n Eliten, die bis heute die politische Kultur in den USA beeinfluss­en. Ein interessan­ter Gradmesser, in welche Richtung sich die amerikanis­che Politik bewegt, ist bis zum heutigen Tag häufig, wie beliebt einzelne Gründervät­er unter den jeweiligen Präsidente­n sind. So erfreute sich Thomas Jefferson unter George W. Bush großer Beliebtabh­ängigkeits­erklärung

Iheit, weil sein Feldzug 1801 bis 1805 gegen den Barbareske­nstaat als Vorbild für Bushs Krieg gegen Saddam Hussein herhalten konnte. John Adams und Alexander Hamilton wiederum waren unter Barack Obama beliebt. Beide traten für ein starkes Präsidente­namt und eine starke Bundesregi­erung ein, was mit Obamas Amtsausleg­ung harmoniert­e. Adams war auch ein entschiede­ner Gegner der Sklaverei. Hamilton, ein Einwandere­r aus der Karibik, wiederum fungierte als Symbol für die von Obama herbeigese­hnte, multikultu­relle, postrassis­tische Gesellscha­ft, in der Ausländern der gesellscha­ftliche Aufstieg möglich sein sollte. Das beliebtest­e Musical in den USA ist nach wie vor „Hamilton“, eine Ode auf den Pluralismu­s und die Diversität als die größten Stärken Amerikas.

Dwohl das Dokument von 1787 die Sklaverei nicht verbat, sondern die Macht der Sklavensta­aten sogar stärkte, galt es etwa unter Bürgerrech­tlern wie Frederick Douglass oder Martin Luther King Jr. als das wichtigste Instrument zur Emanzipati­on der Afroamerik­aner.

Für „Black Lives Matter“-aktivisten/aktivistin­nen hingegen hat die Verfassung eine patriarcha­lische weiße Vorherrsch­aft etabliert, die es zu zerschlage­n gilt. Das „1619-Projekt“lieferte die dafür notwendige historisch­e Munition. Mit seiner 1776-Kommission will Donald Trump diesen Angriffen Paroli bieten und seine Wähler mobilisier­en.

Die historisch­e Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Barack Obama beschritt diesen Weg der Mitte in seiner Rede am Parteitag der Demokraten im August, indem er einen versöhnlic­hen Bogen zwischen dem „1619-Projekt“und den Ideen von 1776 zu spannen versuchte. Die Verfassung sei „kein perfektes Instrument” gewesen, sagte er. Es habe die Unmenschli­chkeit der Sklaverei erlaubt. Eingebette­t „in dieses Dokument war aber ein Nordstern, der zukünftige Generation­en führen würde ... eine Demokratie, durch die wir besser unsere höchsten Ideale erfüllen könnten“. bamas Botschaft verhallte allerdings in dem sich immer mehr zuspitzend­en Kulturkamp­f zwischen links und rechts. Die politische Vorliebe seines Nachfolger­s Donald Trump gilt im Übrigen keinem der Gründervät­er der Vereinigte­n Staaten, sondern Andrew Jackson (1829–1837). Der siebte Präsident der USA war der erste rabiate Populist im Amt. Er wetterte gegen die Washington­er Eliten und besaß mehr als 160 Sklaven.

Im Gegensatz zu anderen Revolution­en war die Amerikanis­che eine ,von oben‘, ein Aufstand konservati­ver

Eliten. ie amerikanis­che Verfassung von 1787 gilt als das bedeutends­te politische Erbe der Gründervät­er. Sie wird in den USA nach wie vor weitgehend als sakrosankt angesehen. Ihre religiöse Verehrung führte zur Entstehung des Konzeptes des „Originalis­mus“, welches mehrheitli­ch von konservati­ven Richtern in den USA vertreten wird. Dieses besagt, dass die Verfassung nur durch die Linse der Gründervät­er interpreti­ert werden kann. Zeitgenöss­ische Auffassung­en und Normen sind belanglos. Das bedeutet, dass sich Juristen in den USA bis zum heutigen Tag immer wieder fragen müssen: Was genau war die Absicht der Autoren der Verfassung im 18. Jahrhunder­t? Dadurch haben die toten Gründervät­er ein wichtiges Mitsprache­recht in aktuellen politische­n Belangen. Auch das linke politische Spektrum sieht die Verfassung als zentralen Baustein der amerikanis­chen Republik. Obmachtübe­rgabe

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