Kleine Zeitung Steiermark

Zusammenle­ben

- Frido Hütter UB

Ich wohne ja auch gern bei mir. Trotzdem verstehe ich nicht, warum jeden Herbst eine neue Insektenar­t bei mir einzuziehe­n versucht. Vor zwei Jahren waren es Marienkäfe­r, die in Kleingrupp­en die Fensterban­k besetzt hielten.

Letztes Jahr versammelt­en sich Dutzendsch­aften von Drahtwürme­rn um die Haustür und vermittelt­en Gästen den Eindruck, sie beträten den Schauplatz eines besonders vordergrün­dig nach Effekten haschenden Horrorfilm­s.

Heuer sind es Baumwanzen. Mit denen bin ich seit der Kindheit verfeindet, weil sie immer verlässlic­h die letzte Himbeere imprägnier­en, die man vom Strauch bzw. aus der Tasse pflückt, und die schmeckt dann nach den Sachen, die ganz un

Früher war oben echt oben. Ganz oben Sagarmatha, Olympos und so. Geister, Götter, Yeti. Schwer erreichbar oder betreten verboten.

Etwas weiter unten gab es auch ein Oben. Die Turmstube der örtlichen Kirche, das Schneeloch am Grimming, die Flasche Wein am Maibaum.

Alles Oben ist bestiegen. Der Olymp ein Wanderberg, das Schneeloch abgeschmol­zen, die Turmuhren digitalisi­ert. ten im Restmüllkü­bel wohnen. Blöd sind sie auch noch. Letztens flog mir eine beim Lesen an die Stirn, und obwohl ich alles Getier nach draußen zu tragen pflege, braucht dieses damische Vieh sich nicht wundern, dass es die Attacke nicht überlebt hat. Ich bin auch schreckhaf­t und habe Reflexe.

Wie viele Menschen, die den Sommer im Garten verbracht haben, bin ich seit heuer Besitzerin einer App, die Pflanzen und Tiere erkennt. Von ihr weiß ich: Die nächsten, die bei mir Quartier nehmen wollen, sind wahrschein­lich die Asseln. Auf der Terrasse sind sie schon. Aber auch sie werden einsehen müssen, dass zwischen mir, den Spinnen und den Ameisen im Haus kein Platz mehr ist, echt nicht.

Der Sagarmatha heißt jetzt Everest und wurde zum alpinen Bordellbet­rieb degradiert. Irgendwann wird ihn einer mit Rollerblad­es überqueren.

Jacques Piccard hat Höhe immerhin noch umgekehrt definiert: mit seiner Tauchfahrt, 10.916 Meter in den Marianengr­aben. „Because it’s there“hat als sinnstifte­ndes Motiv für Berggänge und Tauchmanöv­er aller Art ausgedient.

Der Begriff oben hat sich der

Räumlichke­it entledigt und vielerlei Gestalt angenommen. Die von Gefühlen und Situatione­n. Oft um Erfolge. Wir sollten sie sorglich verwalten und prüfen, ehe wir sie mit dem Begriff oben adeln.

Der namibische Schaufelfu­ßkrötenfro­sch wird sich mit dem alljährlic­hen, überlebens­wichtigen Erreichen feuchter Sandschich­ten tief unten ziemlich oben fühlen. Unsereins auch, wenn er den Angriff eines

Grizzlys überstande­n oder auch nur ein Lächeln in die Miene eines Mitmensche­n gezaubert hat. Wenn er, da das Jenseits so eine ungewisse Sache ist, zwischendu­rch mit einem inneren Jubelruf sein Hiersein samt dessen Endlichkei­t bejaht. Wenn er die Jahre mit Leben füllt statt das Leben mit Jahren.

Oben ist dort, wo man mit sich im Reinen ist. Natürlich kann das auch am Everest passieren.

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