Zusammenleben
Ich wohne ja auch gern bei mir. Trotzdem verstehe ich nicht, warum jeden Herbst eine neue Insektenart bei mir einzuziehen versucht. Vor zwei Jahren waren es Marienkäfer, die in Kleingruppen die Fensterbank besetzt hielten.
Letztes Jahr versammelten sich Dutzendschaften von Drahtwürmern um die Haustür und vermittelten Gästen den Eindruck, sie beträten den Schauplatz eines besonders vordergründig nach Effekten haschenden Horrorfilms.
Heuer sind es Baumwanzen. Mit denen bin ich seit der Kindheit verfeindet, weil sie immer verlässlich die letzte Himbeere imprägnieren, die man vom Strauch bzw. aus der Tasse pflückt, und die schmeckt dann nach den Sachen, die ganz un
Früher war oben echt oben. Ganz oben Sagarmatha, Olympos und so. Geister, Götter, Yeti. Schwer erreichbar oder betreten verboten.
Etwas weiter unten gab es auch ein Oben. Die Turmstube der örtlichen Kirche, das Schneeloch am Grimming, die Flasche Wein am Maibaum.
Alles Oben ist bestiegen. Der Olymp ein Wanderberg, das Schneeloch abgeschmolzen, die Turmuhren digitalisiert. ten im Restmüllkübel wohnen. Blöd sind sie auch noch. Letztens flog mir eine beim Lesen an die Stirn, und obwohl ich alles Getier nach draußen zu tragen pflege, braucht dieses damische Vieh sich nicht wundern, dass es die Attacke nicht überlebt hat. Ich bin auch schreckhaft und habe Reflexe.
Wie viele Menschen, die den Sommer im Garten verbracht haben, bin ich seit heuer Besitzerin einer App, die Pflanzen und Tiere erkennt. Von ihr weiß ich: Die nächsten, die bei mir Quartier nehmen wollen, sind wahrscheinlich die Asseln. Auf der Terrasse sind sie schon. Aber auch sie werden einsehen müssen, dass zwischen mir, den Spinnen und den Ameisen im Haus kein Platz mehr ist, echt nicht.
Der Sagarmatha heißt jetzt Everest und wurde zum alpinen Bordellbetrieb degradiert. Irgendwann wird ihn einer mit Rollerblades überqueren.
Jacques Piccard hat Höhe immerhin noch umgekehrt definiert: mit seiner Tauchfahrt, 10.916 Meter in den Marianengraben. „Because it’s there“hat als sinnstiftendes Motiv für Berggänge und Tauchmanöver aller Art ausgedient.
Der Begriff oben hat sich der
Räumlichkeit entledigt und vielerlei Gestalt angenommen. Die von Gefühlen und Situationen. Oft um Erfolge. Wir sollten sie sorglich verwalten und prüfen, ehe wir sie mit dem Begriff oben adeln.
Der namibische Schaufelfußkrötenfrosch wird sich mit dem alljährlichen, überlebenswichtigen Erreichen feuchter Sandschichten tief unten ziemlich oben fühlen. Unsereins auch, wenn er den Angriff eines
Grizzlys überstanden oder auch nur ein Lächeln in die Miene eines Mitmenschen gezaubert hat. Wenn er, da das Jenseits so eine ungewisse Sache ist, zwischendurch mit einem inneren Jubelruf sein Hiersein samt dessen Endlichkeit bejaht. Wenn er die Jahre mit Leben füllt statt das Leben mit Jahren.
Oben ist dort, wo man mit sich im Reinen ist. Natürlich kann das auch am Everest passieren.