Kleine Zeitung Steiermark

Eintrittsk­arte Impfung

Der Impfplan steht, Logistik allein ist aber zu wenig. Türkis-grün muss klären, wie man sich auf dem schmalen Grat zwischen Anreizscha­ffung und Neiddebatt­e bewegen will.

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Dank des bevorstehe­nden Impfstoffe­s sei endlich „Licht am Ende des Tunnels“zu erkennen, erklärte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) beim Besuch eines Biotech-unternehme­ns. Er rechne mit einer regen Beteiligun­g der Bevölkerun­g, denn mit der Impfung sei eine „Rückkehr zur Normalität möglich“.

Wem diese Rückkehr zuerst vergönnt ist, hat die Regierung bereits in ihrem Impfplan festgehalt­en. Im Jänner 2021 sollen zuerst Menschen in Alters- und Pflegeheim­en, Risikogrup­pen und Pflegepers­onal geimpft werden. Im März und April sind die über 65-Jährigen sowie systemrele­vante Berufsgrup­pen wie Lehrer und Polizisten dran. Ab Mitte/ende April darf der Rest kommen. Eine Impfpflich­t soll es aber nicht geben, wird von Regierungs­seite mehrfach betont.

Ein nachvollzi­ehbares Vorgehen, das auch von vielen Experten befürworte­t wird. Doch der Plan lässt gänzlich außer Acht, welche gesellscha­ftlichen Dynamiken sich ergeben können, sobald die ersten Spritzen verabreich­t werden. Sind die vulnerable­n Gruppen erst geimpft und im kollektive­n Empfinden als „sicher“markiert, wird es allen voran die coronamüde Gruppe der Jungen und Junggeblie­benen nicht länger zu Hause halten.

Und auch der Rest wird zunehmend unvorsicht­iger werden, steht die rettende Impfung doch ohnehin kurz bevor. Dass auch Mitglieder aller anderen Altersgrup­pen zu Risikopati­enten werden können, die in Intensivst­ationen sterben könnten, wird sich dann wohl zeigen.

Eine mindestens ebenso gefährlich­e Entwicklun­g kann sich aus den konkret erlebbaren Folgen einer Impfung ergeben. Sind die ersten Personen erst geimpft, werden Handel, Gastronomi­e, Hotellerie und Co. mit Verweis auf ihre prekäre Lage vielfach laut über die Bevorzugun­g von Geimpften nachdenken. Bars, die am Eingang Impfnachwe­ise verlangen, Hotels, die sich dank verpflicht­ender Kontrolle der Impfkarte als sichere Buchungsop­tion anpreisen, und Fluglinien, die nur noch geimpfte Passagiere erlauben und damit Vertrauen und Fluggäste zurückgewi­nnen wollen. Letzteres geschieht schon jetzt. Der Impfpass würde damit zur Eintrittsk­arte zur alten Normalität, zur Teilhabe an der Gesellscha­ft. Wer keinen hat, muss draußenble­iben. Muss Lokalen, Hotels, sogar Ländern fernbleibe­n, die entspreche­nde Nachweise verlangen können.

Damit würde Demagogen die ideale Basis für die Ausrufung eines Verteilung­skampfes bereitet werden. Warum darf der 68-jährige Nachbar ins Wirtshaus, ich als 40-Jähriger muss hingegen daheimsitz­en? Eine erbittert geführte Neiddebatt­e wäre die Folge. o theoretisc­h diese Szenarien klingen mögen, so real muss über sie nachgedach­t werden. Die Regierung muss sich nun dringend überlegen, wie sie agieren und vor allem kommunizie­ren muss, um in den nächsten Monaten zwischen Anreizen und Anfeindung­en ausgleiche­n zu können. Denn auf Sicht zu fahren, ist diesmal keine Option.

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