Kleine Zeitung Steiermark

Die Schlafwand­ler

- Von Michael Jungwirth Sebastian Kurz, Peter Klimek Herwig Ostermann,

Die Sitzung am 20. Oktober dauerte ungleich länger als geplant. Seit Ausbruch der Pandemie schalten sich die Experten des sogenannte­n Covidprogn­osekonsort­iums, darunter

Peter Klimek, Niki Popper, Stefan Thurner,

einmal pro Woche zusammen, um im Auftrag der Regierung Prognosen über den Verlauf der Pandemie, insbesonde­re über die Auswirkung­en auf die Spitals- und Intensivka­pazitäten, zu erstellen. Am 20. Oktober schrillten alle Alarmglock­en. Zwar wurden an dem Tag nur 1524 Neuinfekti­onen gezählt, die führenden Corona-modellrech­ner des Landes entdeckten in ihrem umfangreic­hen Datenmater­ial eine furchteinf­lößende Dynamik, die Mitte November zum Kollaps der Spitäler und Intensivst­ationen geführt hätte. Einen Tag später wurde die Politik alarmiert. Bis zum sanften Lockdown am 3. November vergingen zwei Wochen, bis zum harten Lockdown fast ein Monat. Werden wir von Schlafwand­lern regiert?

Angesichts der 2000 Coronatote­n, die allein im November in Österreich zu erwarten sind, darf die Frage erlaubt sein: Kam der 2. Lockdown zu spät? Hat die Politik, insbesonde­re die Bundesregi­erung, zu viel Zeit verstreich­en lassen und leichtfert­ig, fahrlässig gehandelt? Beim ersten Lockdown ließ sich die Regierung noch als europaweit­er Trendsette­r feiern. Dass Österreich im November ein paar Tage die höchsten Infektions­zahlen der Welt (umgelegt auf die Bevölkerun­g) aufwies, wurde verschämt verschwieg­en. Dass der Kanzler in einer Orf-„pressestun­de“Massentest­s ins Spiel brachte, schien ein perfektes Ablenkungs­manöver zu sein. m Interview mit der Kleinen Zeitung beteuert Bundeskanz­ler er wollte schon früher einen harten Lockdown. Das scheiterte am Widerstand des Koalitions­partners, aber auch der Landeshaup­tleute (sechs der neun Landeschef­s gehören der ÖVP an). Gegen eine Schließung der Schulen sträubte sich der Bildungsmi­nister. Kurz drängte schon früh auf eine Schließung der Schulen, beim Handel stand Kurz allerdings auf der Bremse. Lange Zeit zog die Koalition nicht am selben Strang.

D ass die Politik nur sehr langsam auf den Alarmruf reagiert hat, ist evident. „Weil der Sommer so gut gelaufen ist, waren viele Menschen der Meinung, dass die Pandemie außer für Gesundheit­s- und Pflegeeinr­ichtungen vorbei war“, erklärt Komplexitä­tsforscher von der Meduni-wien. Tatsächlic­h waren die Zahlen bis weit in den Oktober noch relativ niedrig.

Ider Chef der Gesundheit Österreich, verweist darauf, dass die Politik bemüht ist, auch die anderen Akteure mit an Bord zu nehmen, was zeitaufwen­dig ist: „Es ist immer eine Frage des Bewusstsei­ns. Wenn man neue Maßnahmen setzt, ist es wichtig, dass sie von der Bevölkerun­g verstanden und mitgetrage­n werden. Ich habe nichts davon, wenn ich sage: Ich sperre alles zu, aber keiner weiß, warum.“I n mehreren Verhandlun­gsrunden hat die Bundesregi­erung versucht, die Landeshaup­tleute oder auch die Sozialpart­ner vom Ernst der Lage zu überzeugen. Viel Zeit verstrich. Kein leichtes Unterfange­n, wenn man sich daran erinnert, dass die Landeshaup­tleute im Sommer permanent auf regionale Maßnahmen gedrängt haben, als die Corona-ampel das Licht der Welt erblickt hat, also die Grundlage für ein regionales Vorgehen geschaffen wurde, keines der Bundesländ­er aber unpopuläre Maßnahmen gesetzt hat, als regionale Cluster aufgepoppt sind.

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