Kleine Zeitung Steiermark

Wissenscha­ft goes Popkultur

Newtons Apfel fällt nicht weit vom Stamm der Popkultur. Oder: welch besondere Liebe sie für Naturwisse­nschaft hegt. Ein Erklärungs­ansatz.

- Von Andreas Kanatschni­g Auch Wissenscha­ftler

Als der Brite Roger Penrose im Oktober den Physiknobe­lpreis zugesproch­en bekam, war einer breiten Öffentlich­keit vielleicht nur eines bekannt: dass Sheldon Cooper, der spleenige Nerd aus der Tv-serie „Big Bang Theory“, gern ein T-shirt mit einem „Penrose-dreieck“darauf trägt. Das Dreieck zeigt eine unmögliche Figur, die es in der Realität nicht geben kann.

In der modernen Popkultur ist dieses Universum der Zitate ein beliebtes Mittel, um eine Aura des Geheimnisv­ollen oder Besonderen zu erzeugen. Man denke nur an die Fibonacci-folge, eine Reihe von Zahlen, bei der die Summe der zwei vorhergehe­nden Zahlen immer die nächste Zahl ergibt: 2 plus 3 ist 5, 3 plus 5 ist 8 und so weiter. Leonardo Fibonacci beschrieb damit das Wachstum einer Kaninchenp­opulation, Dan Brown verwendete sie, um einen Safe zu öffnen. „Das wechselsei­tige Zitieren und die Anspielung­en, heute auch zwischen Film und Social Media, sind ein großes Referenzun­iversum“, sagt Matthias Wieser, assoziiert­er Professor am Institut für Medienund Kommunikat­ionswissen­schaften der Alpen-adria-universitä­t Klagenfurt.

Doch spulen wir zurück bis zum 1. Januar 1818, als Mary W. Shelley ihren Roman „Frankenste­in“veröffentl­ichte. Für Wieser ist

Buch ein frühes Beispiel von Popularisi­erung der Wissenscha­ft, die auch auf die unbeabsich­tigten Folgen von Wissenscha­ften verweist. Viktor Frankenste­in erschafft in dem Roman einen künstliche­n Menschen, womit Shelley die künstliche Intelligen­z von heute bereits im 19. Jahrhunder­t vorwegnimm­t. Shelleys Roman ist bis heute populär geblieben und zeigt, was Wieser das „Spiel mit wissenscha­ftlichen Themen“nennt: Wissenscha­ft, gerade Naturwisse­nschaften, haben in unserer Gesellscha­ft einen hohen Stellenwer­t, auch aufgrund ihrer Abstrakthe­it, und üben große Faszinatio­n aus – wie zum Beispiel die Luft- und Raumfahrtf­orschung.

Das Themenfeld der Sciencefic­tion ist ein Phänomen der

Aufklärung, die zu einer Verwissens­chaftlichu­ng der Welt führte. So träumte sich Margarete Cavendish im 17. Jahrhunder­t in „The Blazing World“in eine alternativ­e Welt. Das 19. Jahrhunder­t ist dann bereits voll von wissenscha­ftlich gefärbter Literatur: Edgar Allan Poe, H. G. Wells, Jules Verne oder E. T. A. Hoffmann.

Im 19. Jahrhunder­t kam es zu einer Popularisi­erung von Wissenscha­ft und einer Verwissens­chaftlichu­ng von Populärkul­tur: Jules Verne und seine „Reise zum Mittelpunk­t der Erde“(1864) oder seine Mondromane nehmen wissenscha­ftliche Erfindunge­n vorweg und stehen Pate für die moderne Sciencefic­tion-kultur zwischen Literatur, Film und Comic. Auf Jahrdas märkten wurden „galvanisch­e Experiment­e oder magnetisch­e Hypothesen öffentlich vorgeführt“, wie der Literaturw­issenschaf­tler Nicolas Pethes schreibt. Auch Vortragsre­isende haben „Wissenscha­ftliches“popularisi­ert. Mit der Industrial­isierung wurde die Weltausste­llung 1851 als Leistungss­chau geschaffen. „Das Thema Wissenscha­ft kommt früh in der Literatur vor, natürlich wird es später in populären Kulturen wie Musik, Film und Fernsehen und heutzutage auch in digitalen Kulturen behandelt“, sagt Wieser.

als Personen, meist Männer, sind Motive der Populärkul­tur, ob es das „klassische Bild des zerstreute­n Professors“ist oder das des

Kapazunder­s: Viktor Frankenste­in, der Zeitreisen­de aus H. G. Wells „Zeitmaschi­ne“oder Jerry Lewis als „Verrückter Professor“im gleichnami­gen Film aus dem Jahr 1963 sind dafür Beispiele. Vor allem berühmte Naturwisse­nschaftler werden gerne popularisi­ert: Albert Einstein selbst ist mit seiner herausgest­reckten Zunge zum Pop-phänomen geworden. Von Andy Warhol ikonisiert gilt Einstein generell als Synonym für das Genie: Seine Formel „E = mc2“selbst ist Popkultur.

Vom Forscher Isaac Newton, der das Gravitatio­nsgesetz formuliert­e, wird gerne das (popkulture­lle) Bild gezeigt, wie ihm ein Apfel auf den Kopf fiel. In der Comic-story „Newtons Apfel“ist gar Donald Duck dafür verantwort­lich, dass Newton das Stück Obst auf den Kopf fällt: Der Enterich landet nämlich mit einer Zeitmaschi­ne in jenem Apfelbaum, unter dem Newton sitzt.

Ob die Gesellscha­ft eher negativ oder

positiv in die Zukunft blickt, ist interessan­t für die Gegenwarts­analyse.

Matthias Wieser, Medienwiss­enschaftle­r

Äußerst populär wurde auch der Physiker Stephen Hawking, der mit „Monty Python“den Galaxy-song singt, bei den „Simpsons“seinen Auftritt hat und in „Star Trek“mit Albert Einstein, Newton und dem Androiden Mr. Data Poker spielt.

Erklären lässt sich das heutige Zitieren der Wissenscha­ften in der Popkultur auch mit der Bildungsex­pansion in den 1960erund 1970er-jahren: „Die Gesellscha­ft generell ist heute höher gebildet und kennt Wissenscha­ft. Zu einer großen Verwissens­chaftlichu­ng der Gesellscha­ft kam es auch, weil auch Wirtschaft und Industrie auf wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen basieren und produziere­n“, sagt Wieser.

Neben „Zukunftsut­opien, die eine Faszinatio­n ausüben und dann vielleicht auch in der realen Welt in technische Innovation­en münden“, so Wieser, sind in der Popkultur von heute Dystopien beliebt, die negative Zukunftswe­lten präsentier­en: „Ob die Gesellscha­ft eher negativ oder positiv in die Zukunft blickt, ist interessan­t für die Gegenwarts­analyse. Dabei stellt sich die Frage: Welche Ängste oder Wünsche hat unsere Gesellscha­ft?“Die Popkultur zwischen Film und Graphic Novel wird auch auf die weltweite Corona-pandemie eine Antwort finden und sie in ihr Referenzun­iversum einarbeite­n. Wie sagte Einstein? „Alle Religionen, Künste und Wissenscha­ften sind Äste des gleichen Baumes.“

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Eine Partie Poker: Einstein, Mr. Data, der echte Hawking und Newton in „Star Trek“
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MELBINGER, PICTUREDES­K/ PARAMOUNT Frankenste­in, das traurige Monster

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