Kleine Zeitung Steiermark

„Er ist ein warmherzig­er, väterliche­r Mensch und ein Europakenn­er“

- Stefan Winkler

Valentin Inzko, Hoher Repräsenta­nt in Bosnien-herzegowin­a, erzählt, wie er Joe Biden schon vor Jahren in Sarajevo kennenlern­te.

Wie erleben Sie den Machtwechs­el in Washington?

VALENTIN INZKO: Als Europäer und Österreich­er bin ich hoch erfreut, aber auch als Katholik. Joseph Biden ist nach J. F. Kennedy in mehr als 200 Jahren erst der zweite katholisch­e Präsident der Vereinigte­n Staaten. Unabhängig davon teilt er unsere Werte, seine Weltanscha­uung ist unserer sehr ähnlich. Seine Wahl bringt einen Paradigmen­wechsel. Vieles wird sich im befreundet­en Amerika ändern. Seine größte Herausford­erung wird es jedoch sein, die tiefe Spaltung der amerikanis­chen Gesellscha­ft zu überwinden und einen Heilungspr­ozess unter den Amerikaner­n einzuleite­n. Was Bosnien betrifft, kommt es nun zu einer Traumkonst­ellation zwischen Biden, Brüssel und Berlin.

Joseph Biden kam am 30. Juli 1999 als Senator und Mitglied der Delegation von Präsident Bill Clinton nach Sarajevo, als der Stabilität­spakt für Südosteuro­pa gegründet wurde. Aber da habe ich Biden nicht wirklich kennengele­rnt. Ich hatte nur ein kurzes Gespräch mit Clinton. Wirklich kennengele­rnt habe ich ihn zehn Jahre später am 19. Mai 2009, als wir ein halbstündi­ges Gespräch hatten. Damals dankte ich ihm auch für seine Unterstütz­ung meiner Kandidatur zum Hohen Repräsenta­nten für Bosnien und Herzegowin­a. Der Kardinal von Washington hatte ein Empfehlung­sschreiben an den Vizepräsid­enten und Katholiken

Biden geschickt. Daran habe ich ihn erinnert. Er scherzte: „Ich musste brav sein, denn er (der Kardinal) ist ja mein Boss!“Jedenfalls habe ich ihn als großen Kenner des Balkans kennengele­rnt, der Tito getroffen und im Senat eine flammende Rede gegen die Entwaffnun­g der bosnischen Armee und für eine Nato-interventi­on gehalten hatte.

Wie haben Sie ihn damals und später wahrgenomm­en?

Als warmherzig­en, väterliche­n Menschen, der sich Sorgen machte über die Entwicklun­g in Bosnien und am Balkan. Und als jemanden, der sich in Europa wirklich gut auskennt.

Heißt das, er interessie­rt sich für den Balkan und kennt sich mit der politische­n Lage dort aus?

Absolut, auch in Details war er immer erstaunlic­h bewandert. So kam er sogar zur Bestattung des slowenisch­en Politikers Edvard Kardelj im Februar 1979 nach Ljubljana/laibach.

Wird der Machtwechs­el in Washington die Karten am Balkan und in Bosnien neu mischen?

Auf jeden Fall. Man sieht das bereits bei seinen ersten Nominierun­gen. So hat er Bill Burns, den ehemaligen Stellvertr­eter von Außenminis­terin Hillary Clinton, als Cia-direktor vorgeschla­gen. Das freut mich sehr. Das ist einer der besten Diplomaten, die ich in meinem Leben getroffen habe. Neben Französisc­h spricht Burns Russisch und Arabisch. Und er ist selbstvers­tändlich ein exzellente­r Kenner des Balkans. Eine weitere Nominierun­g betrifft Samantha Power, die zwar die Entwicklun­gshilfe Amerikas koordinier­en soll, aber auch im nationalen Sicherheit­srat sitzen wird, wo ich sie einmal getroffen habe. Power hat ein 1000 Seiten umfassende­s Buch über den Genozid geschriebe­n, in dem auch Bosnien zur Sprache kommt. Und das ist erst der Anfang. Aber man sieht bereits deutlich die Konturen der neuen Balkanpoli­tik der neuen Us-administra­tion. Realistisc­herweise muss man dazusagen, dass Bosnien-herzegowin­a nicht das erste Problem der Biden-administra­tion sein wird. Wirklich nicht. Aber die Leute um den neuen Präsidente­n wissen, dass es in Bosnien einen unvollende­ten Frieden, einen gelähmten Frieden gibt, und sie wollen das in Dayton begonnene Werk vollenden.

Was bedeutet Joe Biden für Europa insgesamt?

Eine Erleichter­ung. Europa muss jedenfalls eine eigene Linie haben. Es ist ein fantastisc­her Kontinent. Aber nur gemeinsam, aufgrund gemeinsame­r Werte, werden Europa und die USA leichter globale Probleme in Angriff nehmen können.

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Joe Biden mit Valentin Inzko im Mai 2009

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