Kleine Zeitung Steiermark

Ein Zeichen der Versöhnung

Joe Biden hat eine historisch­e Rede gehalten und ein wichtiges Zeichen für die Gegenseite gesetzt. Ob ihm die Einigung der Nation gelingen wird, kann sich schon bald zeigen.

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Für Amerika beginnt ein neuer Tag. Mit diesem Bild hat der neue Us-präsident Joe Biden den Machtwechs­el in Washington umschriebe­n. Der Tag ist tatsächlic­h historisch, egal wie man zum Vorgänger und Nachfolger im Weißen Haus steht. Denn mit Kamala Harris haben die USA nun endlich ihre erste Vizepräsid­entin. Das allein ist Grund genug, den am Ende friedliche­n Übergang der Macht zu bejubeln. Doch die neue Amtszeit verspricht mehr.

Nach den Ereignisse­n am Kapitol vor zwei Wochen und den vier Jahren voller Konfrontat­ionen mit alten Verbündete­n haben nicht nur viele Amerikaner eine versöhnend­e Antwort erwartet. Biden hat diese Erwartunge­n mit einer historisch­en Rede erfüllt. Er hat auch jenen, die ihn nicht gewählt haben, seinen vollen Einsatz versproche­n. Er werde mit ganzem Herzen für Einheit und Versöhnung kämpfen. Und deshalb wolle er daran gemessen werden, ob er die Nation heilen kann. Seine Landsleute rief er dazu auf, neu anzufangen. Dies gelte auch für die Partner in aller Welt. Er will beschädigt­e Bündnisse reparieren, versprach er. Dafür will er zurückkehr­en auf einen Pfad, der die gemeinsame Idee dieser Nation betont. Wie das gelingen kann? Eine Antwort gab er mit seiner Musikeraus­wahl. Lady Gaga sang die offizielle Hymne, Jennifer Lopez die inoffiziel­le, Garth Brooks „Amazing Grace“.

Garth Brooks? Es ist ein wirkungsvo­lles Zeichen für jene, die ihn nicht gewählt haben, ihn und seine Politik vielleicht sogar hassen. Aber Biden ist ein politische­r Haudegen, der den Werkzeugka­sten der Demokratie in seiner Gänze auszuspiel­en weiß. Und so trat unmittelba­r nach der Antrittsre­de der Country-superstar auf die Bühne und sang jenes pathetisch­e Lied über das Seelenheil und die Kraft der Veränderun­g.

Brooks trat mit seinem Cowboyhut und in Jeans auf die Bühne des anzugtrage­nden Washington. Die Ikone des ländlichen, republikan­ischen Amerikas als Antipode der elitären

Blase. Und jener Brooks, selbst überzeugte­r Republikan­er, ruft am Ende zum Mitsingen auf. Nicht nur die Zuschauer, sondern alle daheim und bei der Arbeit. „Gemeinsam als Einheit.“Danach gibt er Biden und Harris die Hand, klatscht als einziger Vortragend­er Mike Pence ab und George W. Bush. Es ist ein Angebot der Versöhnung. Biden hat verstanden. ie Rede war perfekt intoniert. Weich, nachdenkli­ch und dennoch voller Zuversicht. Ob Biden aber wirklich die Republikan­er erreicht, wird sich schon bald im Kongress zeigen. Wenn der Senat seine Ambitionen zum Scheitern bringt, kann die Hoffnung schnell zerstoben sein. Somit liegt viel Überzeugun­gsarbeit vor dem neuen Duo. Biden ist zuzutrauen, dass ihm eine Politik der Kompromiss­e liegt. Das hat er als Vizepräsid­ent bewiesen. Doch die Spaltung ist seither noch tiefer geworden – und Biden älter. Der Sturm aufs Kapitol hat gezeigt, dass eine Versöhnung Kraft kostet. Aber die Inaugurati­on war ein vielverspr­echender Start. Das haben die anwesenden Republikan­er gezeigt – nicht nur Brooks.

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