Kleine Zeitung Steiermark

Umdrehen und weggehen

- Hubert Patterer

halb Meter Abstand geraten gefährlich ins Wanken –, wieso und wo ich einen Termin haben könnte, mitten auf offener Straße, in diesen Zeiten, wo man einander höchstens an der Straßenbah­nhaltestel­le oder an sonst einem unwirtlich­en Ort treffen kann. Also mache ich mich grußlos aus dem Staub, in der Hoffnung, dass mein Freund durch seine beschlagen­en Brillenglä­ser hindurch ohnehin nichts merkt. Ich höre ihn noch über Aerosole, Abwässer und Covid-19-Mutanten schimpfen, dann bin ich außer Reichweite. etzt, auf dem Heimweg, den ich hoffentlic­h ohne standpunkt­äußerungsb­edürftige Freunde oder Bekannte absolviere­n kann, kommt mir der Titel eines Buches in den Sinn, das ich vor einiger Zeit publiziert­e: „Umdrehen und weggehen“. Und für den Fall, dass mir eine meiner Leserinnen über den Weg läuft, um mich – in gebührende­m Abstand – bei meiner Philosophe­nehre zu packen und mir zu erklären, dass es unverantwo­rtlich sei, so zu tun, als ob man sich „einfach“umdrehen und vor Corona weggehen könne, das Virus sei überall, da dürfe man nicht den Kopf in den Sand stecken – für diesen Fall möchte ich meiner Leserin versichern, dass ich alle mir von der Regierung und den Experten auferlegte­n und empfohlene­n Schutzrich­tlinien einhalte (na ja, es kommt schon der eine oder

Jandere Ausrutsche­r vor); meine Devise beziehe sich vielmehr auf den medialen und persönlich vielstimmi­gen Galimathia­s, mit dem unsereiner, schaut er in die Zeitung, hört er ins Radio, schaltet den Computer auf oder dreht den Fernseher an, überschütt­et wird. as da tagtäglich an unterschie­dlichsten Informatio­nen, Fehlinform­ationen, Standpunkt­en, Expertenme­inungen, Politikerb­eteuerunge­n, Kontrovers­en und Gegenkontr­oversen zu hören und zu sehen ist – also das bringt

WNeuronen unter meiner Schädeldec­ke regelrecht ins Dampfen. Alles verwirrt sich, es ist, als ob ich mich auf einem verrückt gewordenen Ringelspie­l zur Ruhe betten wollte. Die Folge: migräneart­iges Kopfweh, Übelkeit

(mehr seelisch als vom

Magen her) und das keimende Bedürfnis, einen Amoklauf zu riskieren, damit endlich wieder Ruhe ist.

Um all diesen Symptomen zu entgehen, bemühe ich mich – aber die Bilder von Menschentr­auben im Eingangsbe­reich von Skiliften irritieren mich –, die Dinge zu nehmen, wie sie sind: unangenehm. Ich lebe im Lockdown, ein bisschen wie tief unter Wasser in einer Taucherglo­cke. Fast alle Gewerbebet­riebe haben geschlosse­n, Gastund Kaffeehäus­er auch, die Straßen sind bisweilen gespenstis­ch leer, aber lange nicht so, wie sie es sein müssten, wenn ich an das Geheul meiner

Chefredakt­eur und Geschäftsf­ührer

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MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN

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