Gelb, Rot, Violett
Als ob es ihn irgendwas anginge, mault ein vorbeiradelnder Typ auf der Gasse eine junge Frau an, weil sie im Freien ihre Maske aufbehalten hat.
Schon klar, die Leute sind angespannt, da werden sie garstiger; ich war auch versucht, dem Kerl einen schön lauten „Trottel“hinterherzuschmettern, habe es aber dann gelassen. Denn eigentlich habe ich mir vorgenommen, in dieser überreizten Zeit die Ruhe zu bewahren und mich schon gar nicht in sinnlose Streitereien einzubauen. Ist aber schwer. Man ist nie ohne Leidenschaft, im Zorn wie in der Freude.
Das habe ich auch am Mittwoch gemerkt. Angelobung des neuen US-Präsidenten, eigentlich geht unsereinen das nix an. Aber trotzdem habe ich mich gefreut, über die Atmosphäre von Anständigkeit und Wohlwollen über der Zeremonie; hoffentlich hält das.
Am auffälligsten waren die Frauen: Kamala Harris, die bei ihrer Angelobung so unglaublich selig gewirkt hat, die junge Amanda Gorman, die sich getraut hat, mit einem Gedicht die Welt verändern zu wollen. Und überhaupt auf diesem Podium: die Farben der Frauen! Violett, Blau, Rot, Gelb.
Wir sind gewohnt, jedes Gespräch, das nur ein bisschen nach Mode klingt, trivial zu finden. Aber in all dem Wahnsinn, der uns umgibt, schien mir die Welt an diesem Tag etwas Farbe zu nehmen. Da ist es schwer, sich nicht zu freuen. Und vielleicht auch okay, dass man sich nicht sehr dagegen wehrt.