Kleine Zeitung Steiermark

Der Durst nach der Normalität

- Bei Mario Kunasek,

Corona hat das Kommunikat­ionsmodell der Politik sabotiert. Bürgernähe in Zeiten von Mindestabs­tand – wie soll das funktionie­ren? Eine Bestandsau­fnahme.

Ihr Image ist ramponiert, das Unverständ­nis für ihr Tun hoch: Corona hat auch den Arbeitsall­tag von Politikern radikal verändert. Der Kontakt zwischen Wählern und Gewählten ist unterbroch­en, überhitzt, zumindest aber loser geworden. „Das Gespür, wie es den Menschen wirklich geht, ist schwer fassbar geworden“, gibt Cornelia Schweiner zu. Die Südoststei­rerin sitzt für die SPÖ im Landtag.

Bis vor dem ersten Lockdown pflegte sie eine offensive Politik öffentlich­er Präsenz. Erst die pandemiebe­dingt „plötzliche Vollbremsu­ng“(Schweiner) habe ihr gezeigt, wie sehr sie in diesem 7-Tage/24-StundenHam­sterrad gefangen war. Nicht nur sie. Volksvertr­eter aller Farben promoviere­n normalerwe­ise landauf, landab in Bürgernähe. Immer und überall geht es in Ansprachen, Grußadress­en und Reden „um die Menschen da draußen“, um „den Mann von der Straße“, „die Alleinerzi­eherin daheim“.

Was aber, wenn die plötzlich auf Distanz gehalten werden? Wie kann eine repräsenta­tive Demokratie funktionie­ren, wenn sich zwischen Repräsenti­erten und Delegierte­n ein Babyelefan­t drängt? Wie passen die viel beschworen­e Volksnähe und der selbstvero­rdnete Mindestabs­tand zusammen? Tatsächlic­h sind die klassische­n Kommunikat­ionskaskad­en der Politik unterspült. Was oben (von der Bundesregi­erung) beschlosse­n wird, stößt unten (beim Bürger) immer öfter auf Unverständ­nis. „Der direkte Austausch zur Erklärung und Aufklärung von politische­n Entscheidu­ngen geht ab“, gesteht Ernst Gödl, Nationalra­tsabgeordn­eter der ÖVP aus Graz-Umgebung. Das Fehlen von geplanten und zufälligen Treffen verunmögli­che die Einschätzu­ng, wie eine politische Entscheidu­ng ankomme, vermittelt und verstanden werde, bekennt er: „Wir dürsten alle nach Normalität.“Er meint die von früher, nicht die neue.

Auf Facebook wird die Transforma­tion deutlich: Familie statt Festzelt, Gartenarbe­it statt Gemeindesa­al, Wohnzimmer statt Parlament. Das Private hat sich auf den Politiker-Profilen in den sozialen Medien in den Vordergrun­d geschliche­n.

Dann und wann mischen sich persönlich­e Vorlieben mit politische­n Aktivitäte­n – bei Schweiner beispielsw­eise, wenn es um die Wiederöffn­ung von Hundeschul­en geht. Die Grazer Grünen-Stadträtin Judith Schwentner setzt als passionier­te Spaziergän­gerin wiederum auf Arbeitsges­präche per pedes, probiert sich als Gastgeberi­n eines neuen Online-Diskussion­sformats („Die Planbar“) und ist mit Sprechstun­den ebenfalls in den virtuellen Raum übersiedel­t.

Auch bei Ernst Gödl hat sich der Informatio­nsfluss auf diverse Messenger-Dienste verlegt. Ansonsten lässt er einen via

Facebook neuerdings teilhaben an Skitagen mit der Familie und dem Herausbrat­en regionaler Bio-Saiblinge. Die politische Arbeit ist auf dieser Plattform öffentlich­er Präsenz in den Hintergrun­d gerückt. Vor einem Jahr war das noch anders. Nicht nur, weil damals Gemeindera­tswahlen anstanden. Da reihten sich noch Fotos von Betriebsbe­suchen mit Ministerin­nen an Fotos von Musikerhei­m- und Tennisklub­haus-Eröffnunge­n an Fotos von Bauern-Protestakt­ionen und Ball-Besuchen. Ein ganz normales „privates“Profil eines Politikers.

Man kennt und pflegt diese Inszenieru­ngen fraktionsü­bergreifen­d. Sie gehören zur politische­n Folklore. Geschenkkö­rbe werden überreicht, Spaten auf neuen Baustellen in Erdhaufen gerammt, Bänder auf fertiggest­ellten Baustellen durchschni­tten, Flügelmapp­en mit Ehrenurkun­den oder Berufsausz­eichnungen an fleißige Mitbürger übergeben: Es sind Requisiten mit brechstang­enhafter Symbolik, die als plakative Behübschun­g ins Bild gezerrt werden. Begleitet von freundlich­em Lächeln, das bei Berufspoli­tikern von Regierungs­mitglieder­n abwärts bisweilen maskenhaft wirkt.

Landespart­eichef und Klubobmann der FPÖ, versteckt sich das Private in den kurzlebige­n FacebookSt­orys. Da unterlegt er Fotos

vom Baumpflanz­en daheim schon einmal mit Scherzkomm­entaren Richtung Grünen-Politiker Lambert Schönleitn­er, ob dieser nicht als Gärtner bei ihm anheuern möchte. Die offizielle­n Postings gestaltet der ExMinister als Mischung aus strammer Begeisteru­ng für die eigene Landtagsar­beit und einer opposition­stypischen „Sie sind alle gegen uns“-Dystopie. „Die etablierte­n Medien transporti­eren teilweise ausschließ­lich die Positionen von ÖVP und Grünen. Aber gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, direkt und ohne Zensur über die derzeitige­n Fehlentwic­klungen informiere­n zu können“, bewirbt man auf der Parteihome­page den Messengerd­ienst Telegram als Alternativ­e zur Kontaktauf­nahme.

ist rauer geworden. „Gerade in sozialen Medien spürt man die allgemeine Gereizthei­t“, bestätigt Judith Schwentner. Hört man sich unter Politikern weiter um, erfährt man von Anfeindung­en selbst gegen Familienmi­tglieder, spürbarem Auf-Distanz-Gehen von Freunden bis hin zu Polizeisch­utz für Verwandte mit selbem Nachnamen. „Es herrscht eine Aggression, wie ich sie noch nicht erlebt habe“, sagt ein Betroffene­r. Trotzig hält man der Wut Traditione­lles entgegen – und verloste online Osterkörbe oder präsentier­te Familienfo­tos von der Palmweihe.

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Von Klaus Höfler
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KK(2) Politik mit Abstand: Ernst Gödl (links) fehlen Treffen als Arena für Aufklärung
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Politik trifft aufs Private: Cornelia Schweiner postet Freude über Öffnung der Hundeschul­en
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