Der Durst nach der Normalität
Corona hat das Kommunikationsmodell der Politik sabotiert. Bürgernähe in Zeiten von Mindestabstand – wie soll das funktionieren? Eine Bestandsaufnahme.
Ihr Image ist ramponiert, das Unverständnis für ihr Tun hoch: Corona hat auch den Arbeitsalltag von Politikern radikal verändert. Der Kontakt zwischen Wählern und Gewählten ist unterbrochen, überhitzt, zumindest aber loser geworden. „Das Gespür, wie es den Menschen wirklich geht, ist schwer fassbar geworden“, gibt Cornelia Schweiner zu. Die Südoststeirerin sitzt für die SPÖ im Landtag.
Bis vor dem ersten Lockdown pflegte sie eine offensive Politik öffentlicher Präsenz. Erst die pandemiebedingt „plötzliche Vollbremsung“(Schweiner) habe ihr gezeigt, wie sehr sie in diesem 7-Tage/24-StundenHamsterrad gefangen war. Nicht nur sie. Volksvertreter aller Farben promovieren normalerweise landauf, landab in Bürgernähe. Immer und überall geht es in Ansprachen, Grußadressen und Reden „um die Menschen da draußen“, um „den Mann von der Straße“, „die Alleinerzieherin daheim“.
Was aber, wenn die plötzlich auf Distanz gehalten werden? Wie kann eine repräsentative Demokratie funktionieren, wenn sich zwischen Repräsentierten und Delegierten ein Babyelefant drängt? Wie passen die viel beschworene Volksnähe und der selbstverordnete Mindestabstand zusammen? Tatsächlich sind die klassischen Kommunikationskaskaden der Politik unterspült. Was oben (von der Bundesregierung) beschlossen wird, stößt unten (beim Bürger) immer öfter auf Unverständnis. „Der direkte Austausch zur Erklärung und Aufklärung von politischen Entscheidungen geht ab“, gesteht Ernst Gödl, Nationalratsabgeordneter der ÖVP aus Graz-Umgebung. Das Fehlen von geplanten und zufälligen Treffen verunmögliche die Einschätzung, wie eine politische Entscheidung ankomme, vermittelt und verstanden werde, bekennt er: „Wir dürsten alle nach Normalität.“Er meint die von früher, nicht die neue.
Auf Facebook wird die Transformation deutlich: Familie statt Festzelt, Gartenarbeit statt Gemeindesaal, Wohnzimmer statt Parlament. Das Private hat sich auf den Politiker-Profilen in den sozialen Medien in den Vordergrund geschlichen.
Dann und wann mischen sich persönliche Vorlieben mit politischen Aktivitäten – bei Schweiner beispielsweise, wenn es um die Wiederöffnung von Hundeschulen geht. Die Grazer Grünen-Stadträtin Judith Schwentner setzt als passionierte Spaziergängerin wiederum auf Arbeitsgespräche per pedes, probiert sich als Gastgeberin eines neuen Online-Diskussionsformats („Die Planbar“) und ist mit Sprechstunden ebenfalls in den virtuellen Raum übersiedelt.
Auch bei Ernst Gödl hat sich der Informationsfluss auf diverse Messenger-Dienste verlegt. Ansonsten lässt er einen via
Facebook neuerdings teilhaben an Skitagen mit der Familie und dem Herausbraten regionaler Bio-Saiblinge. Die politische Arbeit ist auf dieser Plattform öffentlicher Präsenz in den Hintergrund gerückt. Vor einem Jahr war das noch anders. Nicht nur, weil damals Gemeinderatswahlen anstanden. Da reihten sich noch Fotos von Betriebsbesuchen mit Ministerinnen an Fotos von Musikerheim- und Tennisklubhaus-Eröffnungen an Fotos von Bauern-Protestaktionen und Ball-Besuchen. Ein ganz normales „privates“Profil eines Politikers.
Man kennt und pflegt diese Inszenierungen fraktionsübergreifend. Sie gehören zur politischen Folklore. Geschenkkörbe werden überreicht, Spaten auf neuen Baustellen in Erdhaufen gerammt, Bänder auf fertiggestellten Baustellen durchschnitten, Flügelmappen mit Ehrenurkunden oder Berufsauszeichnungen an fleißige Mitbürger übergeben: Es sind Requisiten mit brechstangenhafter Symbolik, die als plakative Behübschung ins Bild gezerrt werden. Begleitet von freundlichem Lächeln, das bei Berufspolitikern von Regierungsmitgliedern abwärts bisweilen maskenhaft wirkt.
Landesparteichef und Klubobmann der FPÖ, versteckt sich das Private in den kurzlebigen FacebookStorys. Da unterlegt er Fotos
vom Baumpflanzen daheim schon einmal mit Scherzkommentaren Richtung Grünen-Politiker Lambert Schönleitner, ob dieser nicht als Gärtner bei ihm anheuern möchte. Die offiziellen Postings gestaltet der ExMinister als Mischung aus strammer Begeisterung für die eigene Landtagsarbeit und einer oppositionstypischen „Sie sind alle gegen uns“-Dystopie. „Die etablierten Medien transportieren teilweise ausschließlich die Positionen von ÖVP und Grünen. Aber gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, direkt und ohne Zensur über die derzeitigen Fehlentwicklungen informieren zu können“, bewirbt man auf der Parteihomepage den Messengerdienst Telegram als Alternative zur Kontaktaufnahme.
ist rauer geworden. „Gerade in sozialen Medien spürt man die allgemeine Gereiztheit“, bestätigt Judith Schwentner. Hört man sich unter Politikern weiter um, erfährt man von Anfeindungen selbst gegen Familienmitglieder, spürbarem Auf-Distanz-Gehen von Freunden bis hin zu Polizeischutz für Verwandte mit selbem Nachnamen. „Es herrscht eine Aggression, wie ich sie noch nicht erlebt habe“, sagt ein Betroffener. Trotzig hält man der Wut Traditionelles entgegen – und verloste online Osterkörbe oder präsentierte Familienfotos von der Palmweihe.