Zur Person
übersetzen sollten. Nehmen wir an, jemand ist in den USA als Übersetzerin oder Übersetzer geschult worden und wüsste, was den Afroamerikanern in ihrer Geschichte, die eine Sklavengeschichte ist, angetan wurde und wird. So jemand könnte in der Lage sein, eine einfühlsame Übersetzung zu machen, auch wenn sie nicht genau dem entsprechen würde, was Amanda Gorman empfunden hatte. Das gilt aber grundsätzlich für alle, die das Gedicht damals auf Englisch hörten oder heute lesen – alle haben ihr eigenes Verständnis aufgrund eigener Erfahrung. Vielleicht sollte Gorman ein offenes Seminar mit Übersetzerinnen machen, um gemeinsam zu erarbeiten, wie eine passende Übersetzung etwa ins Deutsche, Französische oder Russische auszusehen hätte. Das wäre gesellschaftspolitisch interessant und könnte zu mehr Einfühlungsvermögen beitragen.
„Political Correctness“wurde zuerst von Rechten und Konservativen in den USA benutzt. Sie wollten damit die Beschneidung ihrer Meinungsfreiheit benannt sehen. Ist es gut, wenn wir den Begriff „Political Correctness“zum Maßstab eines Diskurses machen?
Auch da kann man verschiedene Auffassungen vertreten – je nachdem, welche Absichten und Erfahrungen man hat. Man kann den Begriff als Instrument verstehen, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Aber wenn die Norm zum Nachdenken anregt, wäre sie zu begrüßen. Nachdenken ist immer gut. Also wenn sie dazu beitragen würde, sorgfältiger mit dem eigenen Reden umzugehen, wäre sie okay. Wenn sie verwendet wird, um abweichende Meinungsäußerungen zu unterdrücken, wäre das nicht okay.
Nach Jahrhunderten der Benachteiligung gibt es jetzt auch eine geforderte Überkorrektheit. Kann man das nicht auch verstehen? Und ist das nicht im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung auch verständlich?
Also, ich glaube schon, dass das ein richtiger Gedanke ist. Mit dem Slogan „Black Lives Matter“soll ausgedrückt werden, dass schwarze Leben „zählen“, also so berechtigt sind wie weißes Leben. An und für sich ist das selbstverständlich, wenn wir die Menschenrechte akzeptieren. Aber in vordemokratischen Gesellschaften, in denen von Geburt an feststeht und allgemein akzeptiert wird, du genicht geboren am
16. 8. 1937 in Stettin/Polen. Soziologe, emeritierter Professor an der Universität Klagenfurt. Lehrte auch an Universitäten in Deutschland, USA und Afrika. Schwerpunkte: Arbeits- und Geldsoziologie, Ethik, Sozialwissenschaften.
hörst zum Adel und du zu den Sklaven, entstehen kaum Konflikte. Durch die allgemeinen Menschenrechte und in Gesellschaften mit demokratischem Anspruch hingegen fühlen und sehen sich „diskriminierte“Menschen benachteiligt und erheben dann zu Recht Forderungen nach Gleichberechtigung. Gesetze, die den gewohnten Status verändern, führen immer zu Konflikten.
Es stellt sich auch die Frage: Darf Satire, Kabarett oder ein Talkshow-Moderator jetzt nicht mehr übertreiben und politisch unkorrekt sein?
Die Wirkung wird sein, dass Leute sich verletzt fühlen. Im Prinzip gilt, die Würde der Menschen sollte gewahrt werden. Um dennoch Überzeichnungen zu ermöglichen, muss deutlich erkennbar sein, das ist jetzt Kabarett. Die Reaktion der Betroffenen kann sein, dass sie ausreichend selbstsicher sind und auf so etwas nicht mehr hören. Es kann aber auch bewirken, unwürdig und unmenschlich zu reagieren. Übersteigerungen, die längerfristige Verletzungen hervorrufen, sollten jedenfalls vermieden werden; So viel Empathie kann man auch von Kabarettisten erwarten.