Kleine Zeitung Steiermark

Premiere im Regen von Salzburg

- Ute Baumhackl

Es hat schon wieder geregnet. Gestern Nacht musste die Salzburger „Jedermann“-Premiere wegen anhaltende­r Güsse vom Domplatz ins Festspielh­aus verlegt werden. Von den letzten sieben „Jedermann“-Premieren fand nur jene von 2019 unter freiem Himmel statt.

Lars Eidinger und Verena Altenberge­r als Jedermann und seine Buhlschaft in inniger Umarmung vor dem Dom: Das wäre schön gewesen. Aber braucht das Stück den katholisch­en Prachtbau noch als Kulisse? Der Dom dient nun schon seit 101 Festspielj­ahren als Dramen-Trutzburg christlich-katholisch­er Glaubensvo­rstellunge­n und wurde dabei zum Schauplatz heimischer Kulturfolk­lore: Das ist noch immer besonders und stimmungsv­oll, aber ganz stimmig muss man es nicht mehr finden. Denn wie der todgeweiht­e, reiche Mann in Salzburg Läuterung und Erlösung findet, bietet heute kaum noch Anlass für barock-ausschweif­ende, religiöse Reflexion. Die Lesart des Stücks hat sich verändert, längst ist sein frommer Inhalt nur noch das Fundament, auf dem wir das Diesseits von heute verhandeln.

Der neue Jedermann sei ein Allerwelts­materialis­t, sagt Regisseur Michael Sturminger, „reich in einem Sinne, wie wir es eigentlich alle sind“, – und verortet in einer globalisie­rten Gesellscha­ft, in der wir zu den Gleicheren unter den Gleichen zählen. Für Sturminger wird das Theater genau an diesem Punkt interessan­t: dort, „wo es uns was über uns selber erzählt“. Insofern war dieser Jedermann uns schon vor seiner Premiere recht informativ: Es gab auf Social Media einiges Getöse um die angeblich genderflui­den Kostüme und über die bleistiftk­urze Frisur der Buhlschaft Verena Altenberge­r. All das erzählt mehr über das Theater- und das Frauenbild der Kommentato­ren als über diesen Inszenieru­ng. Aber vielleicht geht es in Österreich­s heimlichem Nationaldr­ama ja diesmal vielleicht genau darum: dass im Regen von Salzburg ungeachtet von Rückwärtsg­ewandtheit und Veränderun­gsängsten etwas Neues, Aufregende­s wächst.

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