Nichts wird mehr so sein, wie es war
In Deutschland steigt die Opferzahl weiter. Schon jetzt ist klar: Diese Flut ist eine Zäsur.
Die Lage entspannt sich nicht wirklich in den Hochwassergebieten in Deutschland. Das Unglück zieht nur weiter. Am Samstag trifft es den Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. Dort bricht ein Damm des Flüsschens Rur, die Bergungsteams bringen in Ophoven 700 Menschen in Sicherheit. Ursache: An der Mündung der Rur in die Maas hatten die niederländischen Behörden eine Schleuse geschlossen. Der Rückstau ließ die Dämme brechen. Europa muss sich noch beweisen in diesen Tagen.
Das ganze Ausmaß der Verwüstungen ist immer noch nicht übersehbar. Täglich kommen neue Hiobsbotschaften. Die Zahl der Opfer ist auf mindestens 141 gestiegen, allein in der Region Ahrweiler rund um das Dorf Schuld in Rheinland-Pfalz sind mehr als 90 Menschen ums Leben gekommen, über 600 wurden verletzt.
Aber auch positive Meldungen gibt es. An der SteinbachTalsperre in Nordrhein-Westfalen hat sich die Lage entspannt. Auch in Erftstadt, wo ein Erdrutsch in der Nacht auf Freitag mehrere Häuser unter sich begraben hat, gibt es nach Erkenntnissen der Rettungskräfte keine Todesopfer.
An der Ahr gehen die Aufräumarbeiten weiter. Noch immer werden Rettungskräfte aus anderen Teilen des Landes in die Region beordert. Am Samstag macht sich die Feuerwehr Landau mit schwerem Rettungsgerät auf den Weg. Auch anderes ist gefragt: Notstromaggregate und Wasseraufbereitung. Die Flut hat Stromleitungen, Gas- und
Wasserrohre mit sich gerissen. Der Aufbau der Infrastruktur könnte sich hinziehen. Allein im eng sich windenden Tal der Ahr nahe Bonn sind sieben Eisenbahnbrücken und 20 Kilometer Gleise zerstört. Auf das Jahrhunderthochwasser folgt eine Jahrhundertaufgabe.
Auch die Verunsicherung wird nicht so schnell schwinden. Im Ahr-Örtchen Dernau verbringen viele die Nacht lieber auf dem Speicher. Es herrscht Angst vor neuen Fluten. Umso mehr schätzen die Menschen die Zeichen der Politik. „Es ist in dieser dramatischen Situation sehr wichtig, dass die Spitzen des Bundes und des Landes so hinter uns stehen und ihre Solidarität mit unserem Kreis ausdrücken“, sagt Jürgen Pföhler, der Landrat des Kreises Bad NeuenahrAhrweiler. Und so gibt es auch leise Kritik an Angela Merkel, die ihren Abschiedsbesuch in den USA trotz der Flut fortsetzte. Die scheidende Kanzlerin reagierte umgehend und kündigte einen Besuch in den Hochwasserregionen an.
Deutschland baut auf. Aber vielen dämmert, nichts wird mehr wie es war. Beim Aufbau müssten verstärkt Extremwetter und ihre Folgen berücksichtigt werden, mahnen Experten. Sachsen handelt und will beim Hochwasserschutz den Flüssen mehr Raum geben. „Wir brauchen einen Gleichklang zwischen technischen Maßnahmen wie Deichen oder Rückhaltebecken und solchen, mit denen Flüsse mehr Raum bekommen. Beides ist wichtig, beides setzt der Freistaat um“, kündigt Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) an.