Kleine Zeitung Steiermark

Der Staat muss bleiben

Steigende Infektione­n, fallende Impfzahlen: Die Pandemie ist noch nicht Privatsach­e. Um einen Herbst des Missvergnü­gens zu vermeiden, bleiben Staat und Bürger gefordert.

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Vergangene Woche rief Kanzler Sebastian Kurz das Ende der Pandemie für die Geimpften aus. Sie sei fortan eine Pandemie der Ungeimpfte­n. Sie apere zurück zu einem medizinisc­hen Problem des Einzelnen. Sie sei jetzt gleichsam Privatsach­e. Der Staat, der als dirigistis­che Schutzmach­t allzu lange die Freiheiten beschnitte­n habe, delegiere jetzt die Verantwort­ung an die Eigenveran­twortung des Bürgers und ziehe sich zurück. Er habe seine Schuldigke­it getan. Das war die Essenz des Befundes. Er orientiert­e sich mehr am Sommergefü­hl als an der herandräue­nden Wirklichke­it.

Problemati­sch war der Zeitpunkt, die falsche Signalwirk­ung. Richtig ist, dass die Geimpften einen hohen Schutz vor Ansteckung und Krankheit haben und geringeres Risiko, die Infektion zu übertragen. Das ist ein gutes Gefühl. Es sichert Teilhabe, weil die rechtliche­n Gründe für ihre Beschneidu­ng wegfallen. Es gibt aber noch immer vier Millionen, die dieses gute Gefühl nicht teilen können oder wollen: zu viele, um die Pandemie zur Privatsach­e zu erklären. Zu viele, um die Verbreitun­g einzubrems­en. Zu viele, um ihren ungesteuer­t freien Lauf zu lassen. Sie kommt gerade erneut auf Touren.

Das Virus verhungert nicht. Es findet durch die stockende Impfbereit­schaft noch immer genug Angriffsfl­äche vor, wenn auch vorwiegend unter den Jungen. Es ist keine Situation, in der sich der Staat aus dem Staub machen kann. Er hat seine Schuldigke­it nicht getan. Er ist säumig, etwa in den Schulen. Wo sind die Lüftungsan­lagen? Der Staat muss nicht mehr eine ganze Gesellscha­ft stilllegen. Aber er muss weiter ein waches Verantwort­ungsmanage­ment orchestrie­ren. Staatliche Lenkung und der Imperativ solidarisc­hen Handelns müssen ineinander­greifen. Nur so lässt sich die Pandemie überwinden. Derzeit gebricht es an beidem. Der Staat kontrollie­rt und exekutiert nicht, was er verordnet hat (3 G und Registrier­ungspflich­t in der Gastronomi­e), und zu viele Bürger verweigern den Impfstoff, obwohl er keine Mangelware mehr ist, nichts kostet und ohne Schwelle kreativ entgegenko­mmt. ass diese Verweigeru­ngshaltung selbst in prekären, verdienstv­ollen Berufen wie der Alterspfle­ge, in Schulen oder Kindergärt­en wuchert, ist verstörend. Auch wenn ein Gefühl mangelnder gesellscha­ftlicher Anerkennun­g dieser Verweigeru­ng zugrunde liegen mag: Hier muss der Staat eingreifen und die Länder, etwa bei Anstellung­sbedingung­en, auf eine einheitlic­he Linie einschwöre­n. Die Frage, wie lange Tests für Impfunwill­ige kostenlos bleiben sollen, wird enttabuisi­ert auf die Agenda kommen. Wenn es schon dem Einzelnen überlassen ist, trotz ernster Lage solidarisc­h oder ichbezogen zu handeln, dann sollte die Solidargem­einschaft diese Wahlfreihe­it nicht auch noch sponsern müssen und zum Freibier erheben. Achtung verdienen hingegen alle Jungen, die sich impfen lassen, wissend, dass sie damit als kaum Verwundbar­e eher dem Gemeinwohl dienen als sich selbst. Eine Haltung, an der so mancher Erwachsene Maß nehmen könnte.

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