Treibgut der steirischen Geschichte
Im Grazer Museum für Geschichte lädt die Ausstellung „was war“zu einem landesweiten Gang durch historische Räume und Landschaften.
Bohrkerne aus dem Semmeringbasistunnel, eine übermalte Kellertür aus der NS-Zeit, ein Pranger aus Gratwein, Kriegsgerät und Alltagsgegenstände, gefunden bei Grabungen am Flughafen Thalerhof: Diese und viele weitere Treibgüter steirischer Geschichte warten derzeit im Museum für Geschichte in der Grazer Sackstraße 16 auf Besucher. Einige von ihnen haben überhaupt zum ersten Mal das Depot verlassen. Daneben reihen sich 66 Modelle von Brücken, Burgen, Klöstern, Dörfern, Industrieanlagen, Wehrbauten, Almhütten und Wohnbauten. Sie sollen zeigen, wie sich das menschliche Handeln im Land eingeschrieben und abgelagert hat. Es sind Spuren einer beständigen Veränderung, des Aufbauens und Abreißens, des Verdichtens und der Überlagerung. Als Teil der SteiermarkSchau lädt die von Bettina Habsburg-Lothringen, Ulrich Becker und Walter Feldbacher kuratierte Ausstellung zu einem landesweiten Gang durch historische Räume und Landschaften. Ergänzt wird das Programm durch geführte Stadtspaziergänge, Radpartien und Busfahrten zu Originalschauplätzen in der Steiermark und Slowenien.
Von den ersten Höhlenbewohnern bei Mixnitz und Peggau über Flavia Solva – die einzige Römerstadt der heutigen Steiermark – bis hin zum Entstehen der Burgen, Klöster, Kir
Märkte, Städte und den Industriegebieten reicht der große Bogen. Rund 400 Jahre lang war Flavia Solva das Verwaltungsund Wirtschaftszentrum großer Teile des Landes. Mit dem Niedergang des Weströmischen Reiches zerfielen territoriale Ordnungen und Strukturen. Die Steiermark gab es damals noch nicht. Aus einer Reihe befestigter Höhenburgen wurde in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts die sogenannte Mark an der Mur. Ihr Kerngebiet umfasste weite Teile der heutigen Weststeiermark, ihr Zentrum war die Hengistburg im Leibnitzer Feld.
Bevölkerungswachstum, Verbesserungen in der Agrartechnik und gute Ernteerträge beförderten die planmäßige Landnahme. So entstanden die mittelalterlichen Dorftypen, wie man sie heute beispielsweise noch in Siebing, Zelting, Lichendorf und Laafeld im Unteren Murtal findet. In nur knapp 100 Jahren entstanden schließlich die Städte der Obersteiermark entlang der transalpinen Verkehrs- und Handelswege als neue Ballungsräume.
Dass solche Entwicklungen unterschiedliche Wege nehmen können, zeigt ein Vergleich. Während Oberwölz schrittweise und organisch wuchs, ist Leoben eine geplante Stadt, die sogar einmal umgesiedelt wurde. In imposanten Bauwerken wie Kirchen, Klöstern, Burgen, Palais und Schlössern werden noch heute weltliche und geistliche Machträume sichtbar. Bedrohungen von außen führten zum Entstehen ganzer Wehrlandschaften. Wälle, Schanzen, Stadtbefestigungen, Wehrkirchen, chen und Tabore wie in Hartberg, Fürstenfeld, Radkersburg, Dedenitz oder Feldbach sind Zeugen dessen.
Mit der Industrialisierung kam es zu einem massiven Eingriff in den Naturraum. In Donawitz entstand in einem relativ schmalen Alpental innerhalb weniger Jahrzehnte eine ganze Produktionslandschaft mit Fabriksgebäuden und rauchenden Schloten. Um 1900 war es das größte einheitliche Stahlwerk des Kontinents.
Die Schattenseiten des Fortschritts ließen die Almenlandschaften zu den neuen Sehnsuchtsorten der Steirer werden. Zur selben Zeit erfuhren die Städte große Modernisierungsschübe: Schulen, Amtsgebäude, Kurhäuser, Elektrizitätswerke, Straßen- und Verkehrsnetze, Sanatorien und Kultureinrichtungen wurden zu gebauten Zeugnissen einer neuen Zeit.
Im 20. Jahrhundert veränderte sich das Land am stärksten. Die Weltkriege erzeugten Umbrüche und neue Grenzen. Mit der Stajerska verlor die Steiermark nicht nur ihre Mehrsprachigkeit, sondern auch rund ein Drittel ihrer Fläche. Danach sortierten Infrastrukturentwicklung, Tourismus, Wohnbau und die neuen Konsum- und Freizeitkulturen die Landschaft neu. Es kam zur Abwertung und Aufwertung ganzer Regionen. Der Acker wurde zur versiegelten Ebene, die Landstraße zur Autobahn, die Gebirgsgruppe zum Nationalpark.