Kleine Zeitung Steiermark

Die ungeliebte­n Spiele von Tokio

- Von Felix Lill, Japan Eine große Mehrheit

Die Olympische­n Spiele von Tokio haben vieles versproche­n, lösen aber fast nichts davon ein. Proteste gegen die Spiele sind an der Tagesordnu­ng und Experten warnen davor, dass sie zum Supersprea­dingevent werden könnten.

Restaurant­s ist verboten. Dennoch hat auch Yoshihide Suga, der Nachfolger von Shinzo Abe als Premiermin­ister, dessen Worte dieses Jahr wiederholt. Und leitete dann nach und nach diverse Schritte ein, die offenbarte­n, dass Tokio diesen Sommer keineswegs den Sieg über die Pandemie verkünden könnte. Ende Juni wurde ein ausgeklüge­ltes Konzept erarbeitet, mit dem bis zu 10.000 Menschen in die Stadien gelassen werden sollten, um es Anfang Juli wieder zu verwerfen. Alle Stadien in und um Tokio müssen nun leerbleibe­n. Zuschauer aus dem Ausland waren schon im März ausgeschlo­ssen worden. So heißt „Tokyo 2020“, wie sich die Spiele auch nach der Verschiebu­ng noch offiziell nennen, in diesem Sommer kaum die Welt willkommen. Geht es nach der japanische­n Bevölkerun­g, ist dies angesichts der Umstände auch besser so.

im Land ist gegen die Austragung der Spiele, weil man sie für mittlerwei­le zu teuer und zu gefährlich hält. Die strengen Sicherheit­smaßnahmen für die Einreisend­en überzeugen viele Menschen nur bedingt. Hinzu kommt aber, dass viele finden, es sei jetzt

einfach nicht der Zeitpunkt, ein Fest zu veranstalt­en, das auf Jubeln angelegt ist.

Den Spielen von Tokio verlieh die Regierung den Untertitel „fukkou gorin“– die „Spiele des Wiederaufb­aus.“Doch die Tatsache, dass die Lage in Fukushima und den anderen beschädigt­en Gebieten zehn Jahre danach wieder besser ist als direkt nach der Katastroph­e, reicht vielen nicht aus für solche hochtraben­den Formulieru­ngen. Bis heute bleiben offiziell rund 40.000 Menschen evakuiert, weil die Strahlung noch zu hoch ist. Nicht in diese Statistik fließen diejenigen Menschen ein, die nicht mehr zurückkehr­en wollen, weil sie anderswo ein neues Leben aufgebaut haben.

Das Verspreche­n des Wiederaufb­aus durch Olympia stößt vielen besonders sauer auf, weil mehrere Bauprojekt­e im Nordosten nicht zuletzt durch die hohe Aktivität in Tokio verhindert wurden. In der Hauptstadt war die Nachfrage nach Bauarbeite­rn und Materialie­n so hoch, dass in vor zehn Jahren zerstörten Orten eine Turnhalle oder ein Shoppingce­nter nicht weitergeba­ut werden konnte. Ökonomisch­e Fragen rund um die Spiele sind generell zu einem Reizthema geworden. Als die japanische Gesellscha­ft anfangs skeptisch gegenüber den Tokioter Bewerbungs­plänen war, rechneten die Verantwort­lichen vor, wie sehr die Wirtschaft von Olympia profitiere­n würde.

32 Milliarden US-Dollar an Mehrwert würden sie schöpfen, hieß es. Und dies ohne Einsatz von Steuergeld­ern. Die sechs Milliarden US-Dollar, die das Bewerbungs­budget als Kosten veranschla­gte, sollten aus privaten

Quellen beschaffen werden. Über die Zeit drehten sich die Zahlen um. 2016 schätzte eine von der Tokioter Metropolre­gierung eingesetzt­e Budgetkomm­ission, dass die Kosten der Spiele auf bis zu 30 Milliarden ansteigen könnten, wenn nicht dringend gespart würde. Und als unabhängig­e Ökonomen die Ertragspro­gnosen unter die Lupe nahmen, kritisiert­en sie große Übertreibu­ngen. Würde man von Olympia unabhängig­e Investitio­nen wie den Ausbau des 5G-Netzes rausrechne­n, stünden die Einnahmen nur noch bei rund einem Viertel. Auch die Ankündigun­g, das Ganze würde keine Steuergeld­er kosten, war von Anfang an eine kreative Rechnung: Die Stadienbau­ten hatte man dafür ignoriert.

Unter den Tokioter Organisato­ren liegen die Nerven schon lange blank. Seit Wochen wird regelmäßig gegen die Spiele protestier­t. Dabei kommen die Rufe nach einer Absage nicht nur von der Straße und aus sozialen Medien. Diverse Gesundheit­sexperten haben betont, dass „Tokyo 2020“statt dem Sieg über die Pandemie zu einem Supersprea­dingevent werden könnte – zumal das Infektions­geschehen in Tokio seit Wochen von der aggressive­ren Delta-Variante geprägt ist.

Und selbst der Kaiser, so berichtete­n es japanische Medien Ende Juni, soll besorgt sein angesichts der Situation. Allerdings darf sich der laut Japans Verfassung nicht politisch äußern. IOC-Präsident Thomas Bach hingegen sagte diese Tage: „Das Wichtigste ist, dass diese Spiele stattfinde­n.“So etwas mag mal nach Frieden und Völkervers­tändigung geklungen haben. Dieser Tage wirkt es in Tokio eher wie eine Drohung.

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 ?? IMAGO (2), GETTY IMAGES ?? So es sie je gab, ist die Olympia-Euphorie in Japan
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IMAGO (2), GETTY IMAGES So es sie je gab, ist die Olympia-Euphorie in Japan längst Vergangenh­eit
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