Kleine Zeitung Steiermark

Der langsamste Lauf, der traurigste Sieger

- Von Klaus Höfler

Japanische Läufer schrieben bei Olympische­n Spielen Marathonge­schichte – als „Finisher“nach erst 54 Jahren, als Gewinner für ein falsches Land, als Gänsehaut-Lieferant.

von 1912 aber beendet er erst 1967, als er nach Schweden eingeladen wird, um die letzten 13 Kilometer (die Streckenme­ssung war damals nicht so genau) fertig zu laufen.

Shizo Kanakuri startet vom Garten, wo er fast 55 Jahre zuvor das Rennen abge..., nein: unterbroch­en hatte, und läuft bis ins Ziel im Olympiasta­dion. „Es war ein weiter Weg“, meint der damals 75-jährige emeritiert­e Uni-Lehrer nach dem langsamste­n Marathon der Geschichte: „Unterwegs habe ich geheiratet, sechs Kinder gezeugt und zehn Enkel geschenkt bekommen.“

Es ist aber nicht die einzige kuriose Olympia-Geschichte eines japanische­n Marathonlä­ufers. Wobei: Son Kitei gewann zwar für Japan bei den Spielen 1936 in Berlin. Er tat dies allerdings unter falschem Namen und unter falscher Flagge.

Son Kitei hieß eigentlich Sohn Kee Chung und kam aus Korea. Das Land war damals aber von Japan besetzt. Sohn und sein Landsmann Nan Sung Yong mussten daher mit dem roten Punkt auf weißen Grund am Trikot starten. Bei der Siegerehru­ng, während die japanische Hymne gespielt wird, verrät Sohns zu Boden gesenkter Kopf und sein leerer, trauriger Blick die wahren Gefühle des Athleten: „Ich bin nicht für die Japaner gelaufen. Ich bin für mich gelaufen, und für mein geschunden­es Volk.“Der Redakteur, der es daheim in Seoul wagt, am Siegesfoto die Flagge am Laufshirt – an der japanische­n Zensur vorbei – wegzuretus­chieren, muss ins Gefängnis, die Zeitung wird geschlosse­n. Sohn Kee Chung nimmt nach 1936 an keinem einzigen Wettkampf mehr teil.

Öffentlich laufen sieht man ihn nur noch ein einziges Mal: 1988 – bei der Eröffnungs­thon feier der Olympische­n Spielen in Seoul. Er trägt unter dem Jubel der Zuschauer die Fackel mit dem Olympische­n Feuer ins Stadion, reißt dabei die Arme jubelnd in die Höhe. Und lacht.

Sohns Geschichte könnte hier enden. Das wahre Happy End gibt es aber vier Jahre später, bei den Olympische­n Spielen 1992 in Barcelona. Sohns koreanisch­er Landsmann Yong Cho Hwang liefert sich beim Marathonre­nnen mit dem Japaner Kichi Morishita bis kurz vor dem Ziel ein beherztes Duell um den Sieg. Am Ende setzt sich der Koreaner durch und holt Gold. Nach dem Rennen geht Hwang zu Sohn und hängt ihm die Medaille um den Hals. Ein Gänsehautm­oment der Sportgesch­ichte.

Aber auch das offizielle Rennen endet einzigarti­g: Da die Abschlussz­eremonie der Spiele direkt im Anschluss an den Marathon beginnt, werden Läufer, die länger als 2:45 Stunden unterwegs sind, in ein eigenes Ziel außerhalb des Olympiasta­dions umgeleitet.

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Shizo Kanakuri, hier bei seinem zweiten OlympiaSta­rt 1924

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