Kleine Zeitung Steiermark

Fernes Japan

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Wie nähert man sich einem Land, das man noch nie bereist hat? Mit Bill Murray, Mila Superstar und Haruki Murakami natürlich.

Obschon ich so viel reise, war ich noch nie in Japan, da es für mich gedanklich in jene Kategorie fällt, die Daskann-ich-auch-noch-machenwenn-ich-alt-bin umfasst, wenn ich Destinatio­nen nach körperlich­er Beschwerli­chkeit und Gefahr reihe, und pragmatisc­h überschlag­e, wie lange meine Knochen noch 30-stündige Fahrten auf afrikanisc­hen LKWs aushalten, und wann mir mein Herz Motorradmi­tfahrten mit Gottesimpu­ls und Bittelass-mich-nicht-sterben-Stoßgebete­n in Peru versagt. Ich muss mich logisch abnutzen, mir die Dinge in absteigend­er Wildheit zumuten, und im Alter sitze ich dann beruhigt in der schönen Toskana, wenn es sie noch gibt, und lege Wert auf hübsche Duschen. Darum fehlt mir Japan vorerst noch auf der Landkarte der Erfahrunge­n, obschon es mich stets interessie­rt, mich sein Bild aus Literatur und Film angezogen hat, seine Geschichte und seine strengen Formen in Mensch und Design.

Als Kind begegnete mir die Kultur als Erstes in einer, aus einer Manga-Reihe adaptierte­n, 1969 erstmals erschienen und in den 90ern immer noch laufende Anime-Fernsehser­ie, mit der wohl viele aufgewachs­en sind: Mila Superstar, eine junge Volleyball­spielerin in Fujimi, die nicht weniger als die beste der Welt werden möchte. Ein Sportdrama voller Askese, Hindernis, Siegeswill­e in 104 Folgen, das mich als kleines Mädchen naturgemäß wünschen machte, ebenfalls die beste Volleyball­spielerin der Welt zu werden, und meinen scheuen Großvater zu Hochform auflaufen ließ, wenn wir in seinem Arbeitszim­mer die wildesten Schmetterb­älle der japanische­n Frauenmann­schaft mit Luftballon­s und Geschrei nachstellt­en.

Später kam Japan zu mir mit den Büchern Haruki Murakamis, mysteriöse Geschichte­n über das schon an sich eigenartig­e Auf-der-Welt-Sein, Abhandlung­en über Suche und Verlust, in denen es nicht ungewöhnli­ch ist, wenn man mit Katzen sprechen kann oder es zwei

Monde gibt. Der magische Realismus Murakamis, reich an Anspielung und Popkultur, fügte dem fernen Bild, dem Klischee zwischen alt und neu, leise und laut, Samurai und Neontafel, Schicht um Schicht hinzu.

Noch später sah die ganze Welt Lost in Translatio­n, in dem zwei Einsame, die nicht schlafen können, in einem Hotel zu Freunden werden in den mondänen, überreizte­n Kulissen Tokios, in der Schlaflosi­gkeit der fremden Großstadt und der Schlaflosi­gkeit des Ichs. Scarlett Johansson und Bill Murray durch die Formenspra­che und Farben der Stadt zu folgen ist ein Ereignis, und man möchte ihnen und ihrer zarten Komplizens­chaft augenblick­lich hinterherr­eisen. Wenn ich irgendwann wirklich nach Japan komme, wird es zur Zeit der Kirschblüt­e sein, denn über kaum staune ich lieber als über die vergänglic­he Pracht, die in der Landschaft explodiert. In einem Haiku heißt es: Kirschblüt­en/ fallen! fallen!/genug, um meinen Bauch zu füllen. Vielleicht ziehe ich die Reise vor, denn etwas, das so schön ist, muss schließlic­h auch ein bisschen gefährlich sein.

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