Brennende Lichtgestalten
Es kocht und brodelt unter der lange glatten Oberfläche der ÖVP. Nach der ersten Festnahme ist klar: Wir stehen erst am Anfang der Aufdeckung eines Korruptionsskandals.
Kein Vulkan bricht plötzlich aus, immer gibt es Vorzeichen. Doch manchmal kehrt nach einer Aschewolke wieder Ruhe ein. Wer hoffte, mit dem Antritt von Alexander Schallenberg würde das passieren, wurde schon an Tag eins eines Besseren belehrt: Der erste Arbeitstag des neuen Bundeskanzlers begann mit einer Festnahme. Eine Meinungsforscherin, die laut Staatsanwaltschaft für die ÖVP Umfragen frisiert und diese über Scheinrechnungen mit öffentlichen Geldern abgerechnet haben soll, steht im Verdacht, Beweise vernichtet zu haben.
Am 28. September hält die ÖVP eine Pressekonferenz, in der Vizegeneralsekretärin Gabriela Schwarz recht allgemein und sehr öffentlich warnt, dass Hausdurchsuchungen im Raum stünden. Am 4. Oktober informiert die Justiz die Polizei, dass zwei Tage später diese Hausdurchsuchungen stattfinden sollen – und just am 5. Oktober löscht genannte Meinungsforscherin ihre Daten.
Damit steht – als wären die vergangenen Tage nicht bewegt genug gewesen – jetzt ein weiterer ernster Verdacht im
Raum: die Verdunkelungsgefahr. Wurde die Razzia vorab verraten? Und von wem?
Tag für Tag neue Enthüllungen, neue Verdachtsmomente: Wir stehen erst am Anfang der Aufdeckung eines Korruptionsskandals, der das Land erschüttern wird. 27 Menschen werden im Casinos-Verfahren mit all seinen Nebensträngen als Beschuldigte geführt. Die Unschuldsvermutung gilt für sie alle. Aber die Erzählung, dass alle Vorwürfe von der WKStA herbeifantasiert würden, wird immer unglaubwürdiger.
Vor einem Vulkanausbruch beult sich die Erdoberfläche, dann können Seismografen leichte Vorbeben spüren. Einzeln betrachtet mochte man solchen Zeichen im Voraus keine große Bedeutung beimessen – massiv überschrittene Wahlkampfkosten, geschredderte Festplatten, eigenwillige Großspenderkonstrukte. Doch irgendwann qualmt und zischt es so stark, dass nicht mehr nur Vulkanologen merken: Hier stimmt etwas gröber nicht.
So dürfte es auch den ÖVPLandeshauptleuten gehen, die sich nun Schritt für Schritt distanzieren. Kurz hat der ÖVP Höhenflüge verschafft – doch die jetzige Situation birgt eruptive Gefahr. Die juristische Aufklärung ist im Gange – die politische ebenso. Manch alte Kränkung wird aufgearbeitet: Wer alle Macht für sich beansprucht, trägt auch alle Verantwortung, wenn es brennt. ukunftskonzept ist das keines. Lichtgestalten, egal in welcher Ausfärbung, sind in der Politik kein nachhaltiges Erfolgskonzept. Auch wenn es verlockend sein mag, eine charismatische Persönlichkeit an die Spitze zu setzen und aus der Partei eine „Bewegung“zu machen: Dem Anspruch einer Volkspartei kann das nicht genügen. Natürlich braucht es strahlkräftige Führung – aber mehr noch eine unterscheidbare inhaltliche Profilierung.
Der Herbst wird unruhig, heiß: Vulkanische Erde ist bekanntlich die fruchtbarste – aber zuerst muss es brennen.
Z