„Impfgegner sind keine Mühe wert“
Ist die Pandemie nach eineinhalb Jahren – wie oft kolportiert – für Geimpfte wirklich vorbei?
HERWIG LINDNER: Noch nicht ganz, denn auch Genesene und Geimpfte können in seltenen Fällen infiziert werden. Niemand hat behauptet, die Schutzwirkung der Impfung liege bei 100 Prozent. Aber über 90 Prozent. Das ist ja nicht wenig. Es wird, wie bei anderen Impfungen auch, einen Booster brauchen. Wir sind am richtigen Weg. Die Pandemie wird beherrschbar sein, das zeigen die Neuinfektionen, wir befinden uns in einer Seitwärtsbewegung der Statistik.
Kaum ältere Menschen. In den Kliniken liegen primär 25- bis 50-jährige Ungeimpfte. Was die Leute rund um Herbert Kickl reden, dass mehr als die Hälfte der Menschen auf Intensivstationen geimpft seien – das ist schlichtweg falsch.
Die angesprochene BoosterImpfung lassen viele Steirer aus. Die Betroffenen haben schon zwei Dosen und sind keine Impfverweigerer. Wie argumentieren Sie da?
Vereinbarte Termine nicht wahrzunehmen, ist nicht fair. Man muss jene, die unsicher sind, richtig aufklären. Viele werden über soziale Medien falsch informiert – vor allem über Nebenwirkungen. Dass Frauen unfruchtbar werden könnten, ist vollkommener Unsinn. Bei solchen Fragen braucht es persönliche Gespräche mit der Vertrauensärztin, dem Vertrauensarzt.
Das gilt für die Impfung im Allgemeinen. Doch wieso braucht es diesen dritten Stich? Viele haben ausreichend Antikörper und können nicht nachvollziehen, dass sie eine Auffrischung brauchen.
Es ist sinnvoll, weil die Antikörperspiegel rasch sinken können. Wie bei vielen anderen Impfungen auch. Aber ja, wie lange diese Impfung im Schnitt wirkt, wird aktuell erst untersucht.
Es ist keine Mühe wert, sich mit Impfgegnern auseinanderzusetzen, die wird man nicht überzeugen können. Bemühen sollte man sich um jene, die zögerlich sind, die Ängste haben. Leider werden Verschwörungstheorien immer wieder propagiert – da ist mancher schon geneigt, falsche Entscheidung zu treffen. Doch ich will mir nicht vorstellen müssen, wie es in unseren Spitälern ausschauen würde, wenn wir die Impfung jetzt nicht hätten.
Ja, weitgehend. Aber
es wäre einiges besser gegangen. Ich will den Föderalismus nicht infrage stellen, doch in der Pandemie war er nicht immer hilfreich. Auch die aktuell regional unterschiedlichen Maßnahmen sind schwer zu verstehen, eine Vereinheitlichung wäre besser.
Wir mussten anfangs für Ärzte und deren Personal kämpfen, dass sie Masken und Impfungen bekommen. Das Vorgehen war im Bundesländervergleich sehr uneinheitlich, man hätte vieles besser koordinieren müssen. Lassen Sie es mich so sagen: Es ist sinnvoll, auf die Stärken der Gemeinden zu setzen, bei der Umsetzung von Impf- und Teststraßen etwa. Aber die Vorgaben dafür hätten überregional erfolgen müssen.
In den Pflegeheimen haben die Schutzmechanismen im Grunde funktioniert. Probleme gab es, wenn das Virus einmal eingeschleppt war. Dann ist eine Verbreitung leider leicht möglich und ist auch passiert.
Bleiben wir bei den Regeln: Bräuchten die Steirer nach Wiener Vorbild auch 2-G-Vorgaben?
Für den Fall eines exponentiellen Anstiegs bin ich sehr für die 2-G-Regel. Das muss im Ministerium vorbereitet werden. Wir haben mit Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer besprochen, ob die Steiermark diesen Weg wie Wien einschlagen soll. Bei den jetzigen Inzidenzen könnten wir das der Bevölkerung jedoch nicht erklären.
Halten Sie zumindest Änderungen bei den Tests für nötig?
Mit dem Wohnzimmertest kann man tricksen, daher sollte er nicht mehr als Zutrittsberechtigung herangezogen werden. Zur Selbstkontrolle ist er aber in Ordnung. Abseits dessen: Wer sich auf Kosten der Allgemeinheit nicht impfen lässt, sollte für die Tests zahlen müssen. Für Menschen, die sich nicht impfen lassen können, müssen Tests kostenlos bleiben.
Sie werben massiv für die Impfung. Sind Sie mit der steirischen Impfrate zufrieden?
Wir können stolz sein, bei einer Rate von 71 Prozent der impfbaren Bevölkerung zu liegen. Die Steiermark hat stark aufgeholt.
Trotzdem gilt eine Durchimpfungsrate von 80 Prozent als Ziel. Braucht es also eine Impfpflicht?
Nein. Die allgemeine Impfpflicht ist eine Maßnahme für Notsituationen, aber da befinden wir uns nicht.
Und doch kritisieren auch Ärzte die Impfung ...
Es gibt sie, aber es sind verschwindend wenige. Ärzte sind gewohnt, kritisch zu sein, was sie auch sein müssen. Doch bei Impfungen ist der Nutzen wissenschaftlich außer Zweifel. Wenn Einzelne von Impfungen und Masken abraten, ergreifen wir Maßnahmen.
Die Politik kämpft derzeit auch mit dem Pflegemangel. Es hilft wohl die beste medizinische Behandlung nichts, wenn die Betreuung danach nicht sichergestellt wird. Wie beurteilen Sie die derzeitige Lage?
Wir haben jahrelang vor einem Ärztemangel gewarnt. Bis vor drei, vier Jahren wurde er von vielen Entscheidungsträgern geleugnet und als Erfindung der Ärztekammer hingestellt. Jetzt sieht man, dass das nicht der Fall war. In der Pflege hat man ebenso gewarnt, auch das wurde ignoriert. Im Gegenteil: Man wollte ärztliche Tätigkeiten zur
Pflege verschieben. Wie soll das funktionieren? Von einem Mangelberuf zum anderen, damit der noch größere Schwierigkeiten bekommt? Jetzt ist der Personalmangel so groß, dass ganze Stationen vor der Schließung stehen. Es besteht dringend Handlungsbedarf.
Doch wie, wenn selbst der Ärztenachwuchs fehlt?
Wir hätten genug junge Mediziner, um den Bedarf zu decken. Von denen verlassen aber viele die Steiermark, Österreich und manche gar den Beruf. Es gibt ein Problem mit der Attraktivität: Ärztinnen und Ärzte können bei der heutigen Beanspruchung keine acht Nachtdienste pro Monat mehr machen. Man muss die Arbeitsbedingungen und die Einkommenssituation sowohl im Spital als auch im niedergelassenen Bereich verbessern. Dann wird es gelingen, die Versorgung sicherzustellen.