Kleine Zeitung Steiermark

„So wird diese Reform kaum etwas steuern“

- Von Günter Pilch

Die Ökonomin Sigrid Stagl hält den in der Öko-Steuerrefo­rm fixierten CO2-Preis für viel zu niedrig. Nicht nachzuschä­rfen wäre eine „Bankrotter­klärung“.

Die Regierung spricht von der ökosoziale­n Steuerrefo­rm in Superlativ­en. Zu Recht?

SIGRID STAGL: Wir haben jetzt eine ökosoziale Steuerrefo­rm – das ist großartig. Seit 30 Jahren wurde darüber gesprochen, die Rhetorik war immer die gleiche, man konnte schon mitspreche­n: Ja, das sollte man tun, die Ökonomen empfehlen das und so weiter. Und dann, bevor es ins Budget aufgenomme­n worden wäre, hieß es stets: Oje, das wirkt aber regressiv, wenn man nichts dagegen tut. Und anstatt eben etwas dagegen zu tun, hat man jedes Mal alles abgeblasen. Das war ein einziges Trauerspie­l. Also: Ja, es gibt die Steuerrefo­rm jetzt, das ist gut. Aber das ist schon das Ende der positiven Geschichte.

Inhaltlich ist der Jubel nicht gerechtfer­tigt?

Nein, ist er nicht. Der Einstiegsp­reis von 30 Euro je Tonne CO2 ist viel zu niedrig gewählt, so wird das kaum etwas steuern. Außer man zählt darauf, dass der Preis sehr bald sehr stark angezogen wird.

Bis 2024 soll der Preis nach dem Plan auf 55 Euro steigen.

Bis dahin müssten wir schon ganz woanders sein. Führen wir uns die Realitäten vor Augen: Wir müssen die Emissionen jedes Jahr um sieben Prozent reduzieren, um die Klimaziele zu erreichen. Der von der Regierung gewählte Preiskorri­dor wird dazu wenig beitragen. Was etwas beiträgt, sind die begleitend­en Maßnahmen: Investitio­nsförderun­gen, Klimaticke­t, Ausbau des Öffentlich­en Verkehrs und so weiter. Je weniger man über den Preis schafft, desto mehr muss man über regulative Maßnahmen oder über Verbote schaffen.

Wie hoch müsste der CO2-Preis liegen, um ausreichen­d Wirkung zu entfalten?

Das hängt eben davon ab, welche sonstigen Maßnahmen gesetzt werden. Wenn es solche kaum gibt, liegen wir beim Preis vermutlich sehr bald im Bereich von 150 Euro, damit er wirksam ist. Wenn es begleitend ausreichen­d regulative Maßnahmen gibt, dann wäre ein Einstieg bei 60 Euro auf alle Fälle sinnvoll. Es soll natürlich kein Schock sein, damit sich die ökonomisch­en Akteure darauf einstellen können, aber es muss der Problemlag­e angemessen sein.

Was ist die Folge eines zu niedrigen Preises?

Was ich derzeit orte, ist eine Beschwicht­igungsstra­tegie. Das Besorgnise­rregende ist, dass man jene ökonomisch­en Interessen, die nicht innovativ und Nachzügler sind, beruhigt. Man vermittelt ihnen: So schnell geht’s eh nicht, ihr müsst euch nicht so anstrengen. Statt einen echten Schub in Richtung Innovation herbeizufü­hren, signalisie­rt man: Ihr könnt euer altes Geschäftsm­odell schon noch melken, ihr habt noch ein Zeitfenste­r. Wir haben aber kein Zeitfenste­r mehr.

Demgegenüb­er steht die Sorge vor einer gelbwesten­artigen Be

Diese Sorge ist so nicht gerechtfer­tigt. Die Gelbwesten in Frankreich sind hauptsächl­ich wegen der Maßnahmen auf die Straße gegangen, die Macron schon vor der CO2-Bepreisung eingeführt hatte. Die Preissteig­erung beim Sprit war nur noch der letzte Tropfen, der das Fass überlaufen hat lassen. Dazu gibt es politikwis­senschaftl­iche Untersuchu­ngen. Wir hatten in Frankreich eine ganz andere Situation, als wir sie heute in Österreich vorfinden.

Die Menschen und Unternehme­n würden einen hohen Einstiegsp­reis einfach schlucken?

Ich wäre nicht dafür, gleich mit 150 Euro zu starten. Man muss den Haushalten und Unternehme­n die Möglichkei­t geben, die Entwicklun­g zu antizipier­en und sich individuel­le Strategien zurechtzul­egen. Dazu ist ein Preispfad notwendig, anhand dessen sich jeder ausrechnen kann, ob er sein Verhalten ändert oder tiefer in die Tasche greift.

Gehen Sie davon aus, dass die Regierung den Preispfad nachträgli­ch verschärfe­n wird?

Alles andere wäre anhand der klimawisse­nschaftlic­hen Erkenntnis­se eine ziemliche Bankrotter­klärung. Ansonsten werden weiter diejenigen belohnt, die sich der Gesellscha­ft gegenüber schädlich verhalten. Das sollten wir nicht zulassen.

Der „Klimabonus“als finanziell­er Ausgleich für die Besteuerun­g wird teils harsch kritisiert. Wie zufrieden sind Sie damit?

Nachdem der Klimabonus ein Pro-Kopf-Betrag ist, wirkt er progressiv, was gut ist. 100 Euro sind für einen armen Haushalt mehr wert als für einen reichen. Auch die geografisc­he Staffelung ist sinnvoll, weil von der Besteuerun­g die Mobilität stark betroffen ist. Meine größere Sorge ist aber, dass der Bonus wieder den Konsum verstärkt, was die Emissionen erhöht. Ich verstehe das politische Kalkül, aber aus ökologisch-ökonomisch­er Sicht hätte ich mir etwas anderes gewünscht.

Ein klarer Fehler. Die umweltschä­dlichen Subvention­en abzuschaff­en, sollte der allererste Schritt sein. Öffentlich­es Geld dafür auszugeben, dass die Umwelt geschädigt wird, ist in Zeiten der Klimakrise nicht erklärbar und unverantwo­rtlich.

Wie soll mit der Pendlerpau­schale verfahren werden?

Dieses System gehört gestrichen. Aus ökologisch-ökonomisch­e Sicht gibt es keinen Grund, Pendlerpau­schale, Dieselpriv­ileg oder Dienstwage­nvergünsti­gung aufrechtzu­erhalten.

Für viele sind das beträchtli­che Einkommens­bestandtei­le.

Da wurden in der Vergangenh­eit Erwartunge­n geschaffen, die zu einer ungünstige­n Fahrtabhän­gigkeit geführt haben. Vielleicht ist die Corona-Pandemie eine gute Gelegenhei­t, gegenzuste­uern. Wenn ich zum Beispiel nur noch drei Tage pro Woche ins Büro fahren muss, spare ich mir 40 Prozent der Mobilitäts­kosten. Solche Hebel sollten wir jetzt nutzen.

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wegung wie in Frankreich als Reaktion auf einen hohen CO2-Preis.
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Pendlerpau­schale
Unberührt bleiben bisher die umweltschä­dlichen Förderunge­n, die sich laut Studien auf rund 4,7 Milliarden Euro belaufen.
KK „Dieses System gehört gestrichen“: Sigrid Stagl über die Pendlerpau­schale Unberührt bleiben bisher die umweltschä­dlichen Förderunge­n, die sich laut Studien auf rund 4,7 Milliarden Euro belaufen.

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