„Es entstand eine enge Freundschaft“
Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger haben sich zahlreiche Briefe geschrieben. Irene Fußl ist Mitherausgeberin dieses Briefwechsels, der private Einblicke erlaubt.
Wie haben sich Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger kennengelernt?
IRENE FUSSL: Ingeborg Bachmann hat sich 1947 in Wien einem Kreis von Literaten rund um Hans Weigel angeschlossen, und wahrscheinlich ist sie Ilse Aichinger dort begegnet. Es ist aber auch möglich, dass sich die beiden im intellektuellen Kreis von Elisabeth Liebl kennenlernten, die eine wichtige Förderund Vermittlerfigur war. Bachmann wohnte bald bei ihr zur Untermiete, und Liebl vermittelte ihr auch die Stelle beim Sender Rot-Weiß-Rot (Anm.: Radiosender unter Aufsicht der US-Besatzungsbehörde).
Ilse Aichinger war damals schon als Autorin bekannt, oder?
Damals waren schon einige ihrer Texte publiziert, darunter am 1. September 1945 „Das vierte Tor“, die wahrscheinlich erste deutschsprachige Prosa, in der das Wort „Konzentrationslager“ausgesprochen wird. Als die beiden einander im Herbst 1947 begegnen, beendet Aichinger gerade ihre Arbeit am Roman „Die größere Hoffnung“. Die um fünf Jahre jüngere Bachmann war fasziniert von ihr.
Waren die beiden nun Kolleginnen oder Freundinnen?
Tatsächlich entstand eine sehr enge Freundschaft. Die Nationalsozialisten hatten einen Teil von Aichingers Familie ermordet, darunter die Großmutter, einen Onkel und eine Tante. Von ihrer Zwillingsschwester, die mit einem der letzten Kindertransporte nach England fliehen konnte, war sie seit 1939 getrennt. Aichinger erlebte, dass sie mit einer jüdischen Mutter und einem „arischen“Vater nirgends ganz zugehörig war. So entschied sie nach dem Krieg selbst, wer zu ihrer Familie gehören soll, und nahm Bachmann als „dritten Zwilling“, wie sie es nennt, in ihre Familie auf.
Haben sich die beiden Frauen gegenseitig unterstützt?
Mental und auch finanziell. Beide durchleben Krisen, die immer wieder mit den Anstrengungen des literarischen Schreibens zusammenhängen. Auch finanzielle Notlagen und das wechselseitige Aushelfen mit Geld sind Thema ihres Briefwechsels.
Aber zumindest Ingeborg Bachmann hat als Autorin und Redakteurin beim Sender Rot-Weiß-Rot nicht schlecht verdient, oder?
Das stimmt, aber sie war von morgens bis spät abends im Sender und beschreibt ihn als ein ziemliches Tollhaus. Die eigene schriftstellerische Arbeit kam da zu kurz. Nachdem sie 1953 den Preis der Gruppe 47 gewonnen hatte, kündigte sie und übersiedelte nach Rom, wo sie dann bald wieder als Auslandskorrespondentin arbeiten musste, um sich das Leben in Italien leisten zu können. Auch Ilse Aichinger arbeitete, unter anderem als Assistentin von Inge Aicher-Scholl, der älteren Schwester von Hans und Sophie Scholl, in der Phase der Vorbereitung der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Für Aichinger bedeutete die Heirat mit Günter Eich auch eine gewisse finanzielle Absicherung.
Die beiden heirateten 1953 und bekamen zwei Kinder. Bachmann ist an schwierigen Beziehungen fast zerbrochen. War das Thema?
Die Schriftstellerehe von Aichinger und Eich sah sie wahrscheinlich als Ideal und hätte es ihnen gerne, zum Beispiel mit Paul Celan oder Max Frisch, gleichgetan. Gleichzeitig hatte sie ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Freiheit, um schriftstellerisch tätig sein zu können. In ihrem letzten Interview 1973 sagt sie, die Ehe sei „unmöglich für eine Frau, die arbeitet und die
denkt und selber etwas will“. Aber als Ilse Aichinger 1954 ihren Sohn Clemens bekommt, schreibt Bachmann, dass sie Sehnsucht nach diesem Kind hat und verzweifelt ist, weil sie das in ihrer Zukunft nicht sieht.
Schreibt Aichinger über ihre Mutterrolle an Bachmann?
Ja, Aichinger schrieb sowohl über ihre Schwangerschaften als auch ausführlich über die Kinder, es folgte 1957 noch die Tochter Mirjam. Auch Ingeborg Bachmann war Kindern sehr zugetan und hatte etwa ein enges Verhältnis zu ihren Neffen und ihrer Nichte. Es gibt in den Briefen an Aichinger Zusätze für Clemens in Kindersprache und Hinweise auf Sendungen mit Geschenken. Mirjam hat Bachmann ihr gleichnamiges Gedicht gewidmet.
Werke: u. a. Prosa („Die größere Hoffnung“, „Spiegelgeschichte“, „Der Gefesselte“, „Eliza Eliza“), Lyrik („Verschenkter Rat“, „Kurzschlüsse“), Hörspiele.
Bachmanns Durchbruch kam spätestens 1954 mit dem Cover und einer Titelgeschichte im „Spiegel“.
Im Nachlass von Bachmann hat sich einen Brief von Peter Dreeßen, dem Autor des Artikels, erhalten. Darin schreibt er von Fotos für die geplante Doppelgeschichte mit Aichinger. Aus irgendeinem Grund ist daraus dann nur eine Bachmann-Geschichte geworden, darüber kann man jetzt nur spekulieren. Jedenfalls war Aichinger damals schwanger mit ihrem Sohn. Insgesamt wurde Bachmann in den Medien viel stärker behandelt als Aichinger, ein Umstand, über den sich Berta Aichinger ärgerte. Ilse Aichinger hingegen schrieb an ihre Mutter, dass sie sich wünsche, zu denen zu gehören, die „die Reklame“nicht brauchen.
Dass die beiden als Autorinnen auch Konkurrentinnen waren, war also kein Thema?
Nicht in den Briefen, aber es mag trotzdem hineingespielt haben, sodass die Freundschaft schließlich zerbrochen ist, wir wissen das leider nicht.
Wann war das?
Der Briefwechsel reicht bis 1962, aber schon vorher gibt es Krisensignale. 1961 starb Elisabeth Liebl, der Verlust bewirkte, dass sie sich einander wieder annäherten. Nach dem Tod von Eich 1972 kondolierte Bachmanns Vater auch in deren Namen, da gab es schon länger keinen Kontakt mehr. 1970 hatte Uwe Johnson, ein befreundeter Autor der Gruppe 47, versucht, zwischen den beiden zu vermitteln. Zu einer Versöhnung kam es nicht mehr. Beide haben unter dem Ende dieser Freundschaft gelitten, was sich in späteren Werken und Interviews ausdrückt. In einem Briefentwurf an Johnson schreibt Bachmann, sie habe nie aufgehört, Aichinger als den Mittelpunkt ihrer Wiener Zeit zu sehen.