Kalkulierte Empörungen
Lydia Haiders Gewaltsuada eröffnete die Dunkelkammer.
Andreas Kohl enthauptet, Peter Handke im Fleischwolf, Thomas Bernhards Skelett ausgegraben und zerrieben. Zimperlichkeit kann Lydia Haider (36) nicht vorgeworfen werden. Die aktuelle Klagenfurter Stadtschreiberin verfasste mit „Zertretung“eine obszön-verspielte Todessuada, die jede Zeile auskostet. Bei der Uraufführung im Wiener Volkstheater sind es drei maskierte Darstellerinnen (Evi Kehrstephan, Claudia Sabitzer und Lavinia Nowak), die von einem Sprechpult aus ihre Todesgrüße abfeuern. Zwischendurch franst es aus: Auch das „Jazzerpack“und das „Standard“-Forum müssen daran glauben.
Weniger sprachgewaltig als gewalttätig arbeitet sich Haider ab, ohne Gefangene zu machen.
Das Publikum muss sich Mittäterschaft vorwerfen lassen: Auf einer bühnengroßen Leinwand können Zuschauer ihre EgoShooter-Kompetenzen zur Schau stellen. Als Belohnung tönt es „Nice“und „Awesome“aus den Lautsprechern.
Ans Unglück glauben muss auch der Hausherr, der selbst inszeniert: Kay Voges wird „sanft die Kehle geöffnet“. Ein Hinweis darauf, dass dem Direktor viel an dieser Produktion liegt, ist der Ort: Die Dunkelkammer, ein kleiner Bühnenraum unter dem VolkstheaterDach, wird von diesem Gewaltorgientheater eingeweiht.
Bekömmlich ist der Abend an keiner Stelle. Wer das akzeptieren kann, der darf sich von dieser bemerkenswerten Verschränkung spielerischer Grenzüberschreitung, hoher Sprachintensität und feinen Visuals (Video: Max Hammel, Game Design: Marvin Kanas) faszinieren lassen. Die Frage nach dem Warum bleibt lose im Raum stehen. „Zertretung“soll der Auftakt zu einer dreiteiligen Arbeit am Volkstheater sein. Die Fortsetzung inszeniert Claudia Bossard im Frühjahr.
Zertretung. Volkstheater Wien.
17. 10., 20 Uhr. Karten: Tel. (01) 52 111400. www.volkstheater.at