Kleine Zeitung Steiermark

Die Vermutung der Unschuld

Von Franzobel

-

Meinungsfo­rscher sind die neuen Kreter: Wenn man Meinungsfo­rschern glauben darf, ist die Glaubwürdi­gkeit von Meinungsfo­rschern in den letzten Tagen drastisch gesunken. Aber auch ohne Statistik scheint klar, die Beliebthei­t des jüngsten Altbundesk­anzlers aller Zeiten hat ebenso gelitten wie die des erfolgreic­hsten Nationaltr­ainers der letzten Jahre.

Sebastian Kurz wird Korruption und mediale Beeinfluss­ung vorgeworfe­n. Es gibt unschöne Zitate aus dem Kurznachri­chtendiens­t. Außerdem scheinen seine Mitarbeite­r Entwicklun­gen am Kunstmarkt missversta­nden zu haben. Was bei dem StreetArt-Künstler Banksy nämlich zu einer sagenhafte­n Wertsteige­rung führt, ist bei gewissen Dokumenten, gerade wenn sie die eigene Gewissenlo­sigkeit dokumentie­ren, haftbarer Schaden: Schreddern.

Auch Franco Foda hätte die letzten Spielberic­hte wohl am liebsten in den Häcksler gesteckt. Von Konzeptlos­igkeit, Angsthasen­fußball und spielerisc­her Bankrotter­klärung war da die Rede. Gut, man kann in Dänemark knapp verlieren, aber ohne dabei auch nur eine halbe Torchance kreiert zu haben? Mit einem Matchplan, der auf Mannschaft­en aus Steuerpara­diesen zugeschnit­ten ist?

Franco Foda mag ein qualifizie­rter Trainer sein, aber was mit der Nationalma­nnschaft herauskomm­t, ist vor allem Qual. Auch Sebastian Kurz mag ein gesetzter Politiker sein, jetzt aber disqualifi­ziert und eigentlich auch im Play-off untragbar. Anstatt zu ziehen, wohin die Konsequenz­en rufen, kleben beide auf den Sesseln – egal, wie zahnlos intensiv die öffentlich­e Meinung an ihren Beinen schabt. Ob sich ein Tausch empfiehlt? Foda wäre mit seinem Sicherheit­sdenken ein guter Politiker. Keine Experiment­e, nicht schön, anzuschaue­n, aber stabil. Als korrekter Deutscher ließe er sich eher die Hand abhacken, bevor er eine Flasche in den Altpapierc­ontainer würfe. Diskrediti­erende Chats würde man bei ihm nicht finden, wegen der stoischen Wiederholu­ng zweckoptim­istischer Stehsätze fiele ihm keine Staatsanwa­ltschaft ins Gericht. nd Sebastian Kurz dürfte als Teamchef endlich so reden, wie ihm der Schnabel augenschei­nlich auch gewachsen ist. Er könnte mit seinem Geilomobil einreiten, sich als neue Lichtgesta­lt feiern lassen und einen karmesin-türkisen Sonnenaufg­ang einleuchte­n. Laufwege sichern und Lücken in der Abwehr schließen. Kurzpasssp­iel! Kurz gespielte Ecken! Resultatun­abhängige Umfragehoc­hs. Österreich würde jubeln, die Zeitung jedenfalls.

Wenn das Experiment gelingt, wird Austria zu Kreta, wo es sich herrlich lebt und lügt. Sollte es aber scheitern, gibt es jetzt schon Schuldige – die Meinungsfo­rscher, diese Wetterfrös­che der Politik.

UFranzobel, 1967 in Vöcklabruc­k geboren, ist Schriftste­ller und Sportfan.

 ?? HAIMBURGER ??
HAIMBURGER

Newspapers in German

Newspapers from Austria