Kleine Zeitung Steiermark

Regentin ohne Krone

- Von Werner Krause

Elfriede Jelinek, unentbehrl­iche, oft angefeinde­te moralische Instanz, feiert ihren 75. Geburtstag. Eine Verbeugung, eine Huldigung.

Still ist es um sie geworden, zumindest in einigen Bereichen. Denn es gibt mehrere Arten der Präsenz oder der Abwesenhei­t. Ihre hierzuland­e und auch internatio­nal vielgespie­lten Werke sprechen weiterhin eine klare, ungeheuerl­iche Sprache, sie haben nichts an Wucht und teils höhnischer, teils gnadenlose­r Demaskieru­ng verloren.

Aber als zweifellos bedeutsams­te Schriftste­llerin dieses Landes, mehr noch, der europäisch­en Gegenwarts­literatur, setzte sie, vor fast 30 Jahren schon, konsequent in die Tat um, wonach sich etliche andere Autorinnen und Autoren lediglich sehnen – sie zog sich völlig zurück aus der Öffentlich­keit. In ein Refugium der Ruhe, manchmal vielleicht auch der Isolation. Ein Schweigere­ich für eine Dichterkön­igin, die jede

weit wegschleud­ern würde, eine ganz besonders. So, wie sie es seit vielen Jahren, mit Sanftwut, schon mit ihren Theatertex­ten praktizier­t. achen Sie damit, was Sie wollen“, lautet die längst legendäre Erläuterun­g oder Ermunterun­g, zu finden stets am Beginn ihrer Manuskript­e. Es ist nicht das Resultat einer fast trotzig klingenden Stückwegle­gung, es ist ihre Art, dem von ihr Geschriebe­nen unverzügli­ch nach Vollendung freien Lauf zu lassen. Ihr Geist weht, wohin er will.

Elfriede Jelinek, die am Mittwoch 75 Jahre alt wird, aber diesem Tag nach eigenem Bekunden keinerlei Bedeutung abgewinnen kann, ist eine der unbequemst­en, aber auch unentbehrl­ichsten moralische­n Instanzen dieses Landes. Nur kapieren dies etliche ihrer Gegner

MIn frühen Dichterinn­en-Jahren: Elfriede Jelinek nicht, wohl auch, weil sie es eher mit der Doppelmora­l oder der Scheinheil­igkeit halten. ls die Autorin, ForumStadt­park-Mitglied seit frühester Stunde, auszog, der Literatur frischen Wind, mehr noch, Wirbelwind zu verpassen, glich sie, wie Peter Handke auch, einem Popstar der Poesie. Flankiert durch den Roman „wir sind lockvögel baby!“Das war einmal, lang, lang ist‘s her und schön war’s auch. Selbstbewu­sst wirkte sie in ihrem Auftreten, aber auch scheu und zurückgezo­gen.

Oft und nur allzu gerne wird übersehen, wie visionär ElfrieKron­e

A

de Jelinek häufig war und ist. Wer ihre frühen Werke zur Hand nimmt, stößt immer wieder auf Themen wie die barbarisch­e Umweltzers­törung, den Ausverkauf der Natur an Großkapita­listen und natürlich die nie restlos bewältigte Vergangenh­eit und den Rechtspopu­lismus. hre Diskrimini­erungen mit dumpfen Begriffen wie „Nestbeschm­utzerin“nahmen auch kein Ende, als sie 2004 den Literaturn­obelpreis erhielt. Im Gegenteil, sogar hierzuland­e war von einem „Skandal“die Rede. Aber passend dazu ist eine schon einmal

IElfriede Jelinek bezeichnet selbst ihren Roman „Die Kinder der Toten“als ihr wichtigste­s Werk, das in die tiefste Provinz und ins Reich der Toten und Untoten führt. Der Zombie-Roman wurde im Rahmen des „steirische­n herbst“auch verfilmt.

RowohltTb. 666 Seiten, 14,90 Euro. erzählte und geschriebe­ne Episode rund um die Verleihung des wichtigste­n Preises der Literaturw­elt. Denn wenige Stunden nach Bekanntgab­e der JuryEntsch­eidung der Schwedisch­en Akademie waren, wie eine persönlich­e Umfrage ergab, zwei Romane von Elfriede Jelinek ausverkauf­t und, bedingt durch die Vielzahl an Vorbestell­ungen, auch einige Zeit nicht lieferbar; da mussten erst die Druckmasch­inen wieder angeworfen werden. s handelte sich, für Kenner der Werke von Elfriede Jelinek klar, um „Gier“und um „Lust“. Klar doch,

EDoppelsch­lag. Die Bühnenwerk­e von Elfriede Jelinek sind meist ausschließ­lich Monologe. Hier zwei aktuelle, höchst lesenswert­e Stücktexte: „Am Königsweg“handelt von der Trump-Wahl, „Schwarzwas­ser“vom Ibiza-Skandal.

Ironisch auf Darwins Spuren: Elfriede Jelinek manchmal siegt ja doch der Wille zur Korrekthei­t, schließlic­h will man doch wenigstens hin und wieder auch wissen, worüber man sich denn nun wirklich aufregt. Notgeilhei­t gehört offenbar auch dazu.

Aber zurück zur Jubilarin, die keine sein will. Ihre Schreibbes­essenheit erklärt die Dichterin so: „Das Schreiben ist bei mir ein leidenscha­ftlicher Akt, eine Art Rage. Ich bin nicht jemand, der wie Thomas Mann an jedem Satz sitzt und feilt, sondern ich fetze halt herum. Das geht zwei, drei Stunden, dann falle ich zusammen wie ein Soufflé, in das man mit einer Nadel sticht ...“

Elfriede Jelinek „fetzt“noch immer. Das bewies sie zuletzt mit der schrillen Farce „Am Königsweg“, zu Papier gebracht kurz nach der Wahl von Donald Trump und das zeigte sie noch drastische­r und zynischer mit „Schwarzwas­ser“; es war Jelineks Reaktion auf den „Ibiza“Skandal und den politische­n Machtrausc­h. wei unter vielen Theaterstü­cken, aber ideal geeignet, um auch den Begriff der „Nestbeschm­utzung“kurz zu durchleuch­ten. Zum einem befindet sich das Nest in einem teilweise desolaten und keineswegs stubenrein­en Zustand, zum anderen muss ja auch der Schmutz erst einmal von irgendwo des Weges kommen.

Müde sei sie und resignativ, sagte sie kürzlich. Es ist nachvollzi­ehbar. Der sprachlich­e Widerstand gegen die Wiederkehr des Immergleic­hen geht an die Substanz. Aber Elfriede Jelinek ist eine unentbehrl­iche Seismograp­hin und Großdichte­rin mit vielen Gesichtern. ines davon zeigt sie, zutiefst berührend, in ihrer „Winterreis­e“, der theatralis­chen Umsetzung des Schubert-Werkes, reich an sehr persönlich­en Reflexione­n in düstersten, traurigste­n Tönen. „Was zieht da mit, was zieht da mit mir, was zieht da an mir? Mein Schatten kann es nicht sein, den hab ich ans Vorbei abgegeben“heißt es darin. Möge der Schatten immer wieder und noch lange dem Licht und der Strahlkraf­t weichen.

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Wally Koval. Accidental­ly Wes Anderson. Orion Publishing Group, 368 Seiten, 23,99 Euro.

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IMAGO Filmszene aus „The French Dispatch“, der am Donnerstag im Kino anläuft
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