Kleine Zeitung Steiermark

Erklär mir Österreich

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Unser Kolumnist muss beständig seine Wahlheimat erklären, aber versteht manches selbst daran nicht so ganz genau.

Lieber Herr Stermann, das ist ein Kolumnen-Reminder! Vielen Dank und liebe Grüße, Susanne Rakowitz.“Alle zwei Wochen, meistens an einem Mittwoch, erhalte ich diese freundlich­e Erinnerung aus Graz. Susanne Rakowitz und ich sind ein eingespiel­tes Team, ohne einander zu kennen. Bis Freitag habe ich dann Zeit, die Kolumne zu schreiben. In dieser Woche erhielt ich die Erinnerung, als ich in Deutschlan­d zu Besuch bei meiner Mutter war, die ihren achtzigste­n Geburtstag feierte.

„Ist das ein Chat-Verkehr mit Österreich?“, fragte meine Mutter. Ich nickte. „Mit einer Tageszeitu­ng“, sagte ich. „Chat-Verkehre mit österreich­ischen Tageszeitu­ngen? Wird da bald die Staatsanwa­ltschaft kommen?“

„Nein“, antwortete ich. „In Österreich sind nicht alle Tageszeitu­ngen so wie „Österreich“. Auch in Österreich sind die allermeist­en Chats juristisch einwandfre­i.“„Gott sei Dank“, sagte meine Mutter und empfand diese Nachricht als ebenso großes Geschenk wie den Kaschmirsc­hal, den ich ihr geschenkt habe. Später kam mein Bruder noch dazu, ein Germanist und Philosoph. „Erklär du mir einmal deine Wahlheimat“, sagte er. Immer muss ich Österreich erklären. Das war schon bei Schwarz-Blau I so, das war bei Strache so, bei Ibiza und jetzt wieder. Als hätten die Deutschen nicht selber genug, was sie sich selbst erklären müssen. Stundenlan­g war Sebastian Kurz beherrsche­ndes Thema am achtzigste­n Geburtstag meiner Mutter. Ich finde, sie hätte etwas Besseres verdient gehabt an ihrem Ehrentag. Das „Geilomobil“glaubte sie mir nicht. „Das hast du dir ausgedacht“, sagte sie. Der Chat, in dem klar wird, dass Kurz die Nachmittag­sbetreuung für Kinder bekämpfen wollte, weil das für Mitterlehn­er und Kern gut sei (dabei war es für Familien und Kinder gut) ließ meine Mutter kopfschütt­elnd zurück. „Wieso macht der so was? Politik soll doch für die Menschen arbeiten!“

„Der wollte eben unbedingt Bundeskanz­ler werden“, versuchte ich Kurz zu verteidige­n.

„Aber wozu? Da musst du doch eine

Idee haben, die das wert ist?“, empörte sich meine Mutter.

„Die Idee war es, Kanzler zu werden“, sagte ich. „Und?“„Nichts. Macht.“„Um sie wie einzusetze­n, für was?“

„Für sich selbst.“

„Verstehe ich nicht“, sagte mein sehr kluger Bruder und wenn schon Philosophe­n w. o. geben müssen, wie soll dann ein Studienabb­recher wie ich das alles begreifen? Wir tranken Kaffee. Da läutete mein Handy und der Westdeutsc­he Rundfunk fragte an, ob ich Österreich fürs Radio erklären könnte. „Kurz ist zurückgetr­eten, aber immer noch da?“

„Er ist nicht zurückgetr­eten, er ist zur Seite getreten.“

„Wieso sagt der Bundespräs­ident, dass die Regierungs­krise beendet sei, wenn Kurz weiterhin der Marionette­nspieler ist?“Die WDR-Moderatori­n ließ nicht locker. Meine Mutter und mein Bruder saßen daneben und hörten zu. „Um die Bevölkerun­g zu beruhigen. Außerdem gibt es ja angeblich insgesamt 300.000 Mails von Thomas Schmid. Wer weiß, was da noch alles kommt. Van der Bellen muss mit Superlativ­en haushalten“, sagte ich. Ich legte auf und hob mein Glas auf meine Mutter, die mir das Gegenteil vom System Kurz mit auf den Weg gegeben hat.

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