Eine Zäsur als Drohung
Der Krieg in der Ukraine tobt weiter. Eine neue Epoche hat begonnen. Diese Zäsur ist kein Versprechen für die Zukunft, sondern eine gefährliche Drohung.
996 schrieb der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington sein viel diskutiertes Buch „Kampf der Kulturen“. Der Universitätsprofessor kam damals zum gut begründeten Schluss, dass Gewalt zwischen Ukrainern und Russen unwahrscheinlich sei. Er irrte.
Huntington erkannte allerdings hellsichtig noch etwas: „Ein westlicher Demokrat kann eine intellektuelle Debatte mit einem sowjetischen Marxisten führen. Es wäre so gut wie unmöglich für ihn, das mit einem russischen Traditionalisten zu tun … Wenn die Russen, während sie aufhören, sich wie Marxisten zu verhalten, liberale Demokratie ablehnen und sich nicht wie Westler benehmen, könnten die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen erneut distanziert und konfliktbeladen werden.“So weit sind wir jetzt.
Eine Erläuterung dessen, was ein russischer Traditionalist ist, ersparte sich Huntington. Dazu gehört zum Beispiel der Anspruch, russische Geschichte als Teil der Heilsgeschichte zu sehen: Russland als heilige Macht, Moskau als das Dritte Rom, nach Rom und Byzanz.
irrlichtert auch noch das gar nicht auf Russland bezogene „Licht aus dem Osten“herum. Der polnische Autor Stanisław Jerzy Lec hat diesen Anspruch sarkastisch zu einem Aphorismus ergänzt: „Ex oriente lux – ex occidente luxus.“
Dieser „Luxus“wird bei Propheten einer neuen russischen Rechten zum Symbol westlicher Dekadenz und moralischen Verfalls. Auch dagegen kämpft Putin jetzt in der Ukraine: mit dem geistlichen Segen des Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche und mit geistiger Unterstützung von Intellektuellen.
Zwei Namen tauchen in diesem Zusammenhang immer wieder auf: Der des 1954 im Schweizer Exil verstorbenen konservativen Philosophen Iwan Iljin und der des russischen Politologen und Publizisten Alexander Dugin. Dugin schrieb das Manifest „Eurasien über alles“und ist mit rechtspopulistischen Parteien im Westen gut vernetzt. Sein Buch „Grundlagen der Geopolitik: Die geopolitische Zukunft Russlands“(erschienen
1997) liegt als Lehrbuch an den Militärakademien der Streitkräfte der Russischen Föderation auf.
Wladimir Putin baut sich aus Versatzstücken dieser Ideologien sein Weltbild von einer großen, russisch dominierten eurasischen Zivilisation zusammen – garniert mit postsowjetischer Nostalgie, wenn es darum geht, in Erinnerung an Stalins Großen Vaterländischen Krieg neue Feindbilder nach alten Mustern zu schaffen. Und so wird die Ukraine mit ihrem gewählten jüdischen Präsidenten jetzt „entnazifiziert“– mit Bomben, Granaten und Raketen. Ukrainerinnen und Ukrainer müssen dafür büEs ßen, dass sie in drei Jahrzehnten der Eigenstaatlichkeit Lust daran gefunden haben, sich im Sinne Huntingtons „wie Westler zu benehmen“.
Der amerikanische Historiker Timothy Snyder hat 2018 im Onlinemagazin „Eurozine“in einer Studie mit dem Titel „Gott ist Russe“darauf hingewiesen, dass Putin den Philosophen Iwan Iljin, einen einstigen Bewunderer des Faschismus, zum Hofphilosophen des Kremls gemacht habe – „als Vordenker einer Politik, die die westlichen Werte im Namen eines neuen Autoritarismus