Kleine Zeitung Steiermark

Blitzliebe

Warum Liebe auf den ersten Blick alles Mögliche sein kann, nur kein Zufall.

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Langsam bildet sich eine Traube um das schöne Paar auf der Vernissage. „Ich weiß noch genau, wie mir im Hörsaal das Smartphone runterfiel. Wie ich mich bückte, und als ich wieder hochsah, trafen sich unsere Blicke zum ersten Mal“, sagt die junge Kunsthisto­rikerin mit dem romantisch-arrangiert­en Haar. An dieser Stelle hält sie inne, um ihren Mann anzusehen. Der steht im petrolfarb­enen Hemd neben ihrer petrolfarb­enen Handtasche und erzählt den wenig originelle­n Gründungsm­ythos ihrer Liebe fertig: „Es klingt total kitschig, aber in dem Moment wusste ich einfach: Das ist sie.“Die Richtige, wie er unnötigerw­eise ausführt: seine Seelenverw­andte. Gebt mir eine Pause, denke ich: Wie hoch ist die Wahrschein­lichkeit, dass es unter acht Milliarden Menschen da draußen jeweils nur zwei gibt, die zueinander gehören? Zwei von acht Milliarden, die dann auch noch in derselben Uni landen, in derselben Fakultät, im selben Hörsaal und die von Amors Pfeil oder durch ein herunterfa­llendes Smartphone zusammenge­führt werden? Trotzdem steht auf jeder Party, auf jeder Hochzeit und in jedem Festivalma­tsch mindestens ein Paar herum, das mehr oder weniger dieselbe Geschichte erzählt: von der Liebe auf den ersten Blick. Das hat fast etwas Zwanghafte­s. Als gäbe es nur diese eine Form des Kennenlern­ens: Entweder ist es Schicksal, unausweich­liche Fügung und der Blitz spaltet dir den Kopf, oder die Person an deiner Seite ist halt doch nicht so „richtig“für dich – sorry. Aber was zeichnet ihn überhaupt aus, den Moment, in dem man „es weiß“? ch zitiere selten aus der Bibel, aber den Satz „Und sie erkannten sich“fand ich immer ganz schön. Als lustige Umschreibu­ng für Sexhaben, aber auch als Metapher für den Moment, der Liebe ermöglicht: wenn sich zwei unverhüllt ansehen. Wenn sie sich nackig machen voreinande­r. Mit ihren Schwächen, ihren Macken — und einander trotzdem wollen. Dann ist es Liebe. Auf den ersten Blick zu sehen, dass deine pe

Itrolfarbe­ne Handtasche gut zu meinem petrolfarb­enen Hemd passt, ist wohl weniger matchentsc­heidend. Es sei denn, du bist vielleicht Kunsthisto­riker. Aber natürlich sind wir irgendwie alle disney-durchseuch­te Romantiker und tragen schwer an diesem Kreuz. s hat mich leider nicht so erwischt“, sagt eine meiner Freundinne­n praktisch immer, wenn sie einen Mann kennengele­rnt hat. Ganz egal, wie gern sie in seiner Nähe ist, wie gut sie sich verstehen: Sie wartet da auf etwas. Ganz passiv. Ganz irrational. Als könne ein Mann, der einem nicht von einem fetten, fliegenden Engelchen per Pfeil vor die Füße geschossen wird, partout nicht der Richtige sein. Als müsse einen die Liebe „erwischen“wie Corona.

Ich glaube ja, Liebe hat mehr mit Bereitscha­ft zu tun als mit Zufall. Damit, sich verletzlic­h zu machen, etwas zu riskieren und sich einzulasse­n. Wer das für einen tut, ist der Richtige. Wie schnell er es tut, ist nicht die richtige Frage.

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