Ein bisschen Frieden
Politisch aufgeladen ist der Eurovision Song Contest nicht erst in seinem 66. Jahr. Auch ein Scheitern im Wettbewerb wurde gern politisch begründet.
Der Sieg der Ukraine beim größten Musikwettbewerb der Welt mit seinen fast 200 Millionen Zusehern ist als Stück Hoffnung und Solidarität zu verstehen, auch wenn das Lied nicht „Ein bisschen Frieden“, sondern „Stefania“heißt. Und dieses Zeichen ging nicht von den jeweils fünfköpfigen Fachjurys in den anderen 39 Ländern, sondern vom Zuschauer daheim per Telefon bzw. SMS aus. Würden nämlich nur die Punkte der Experten (Künstler, Produzenten, Musikjournalisten etc.) zählen, hätte das ukrainische Kalush Orchestra den vierten Platz erreicht.
Man kann den ukrainischen Beitrag mit seinem Mix aus Flöten-Folklore und Rap mögen oder nicht, aber man darf ihm keinesfalls eine musikalische Qualität absprechen. Der letzte Siegertitel der Ukraine (Jamala mit „1944“vor sechs Jahren) war sperriger, er war ein Schmerzensschrei – und der Triumph der Krimtatarin war ein eindeutiges politisches Signal. Obwohl die Prüfer der EBU (Dachverband der europäischen Rundfunkstationen) beschieden hatten, der Songtext über die Deportation von Jamalas Vorfahren enthalte keine politische Botschaft; sonst hätte man das Lied disqualifiziert. Damals gratulierte Außenminister Pawlo Klimkin der Sängerin mit den Worten: „Die Wahrheit siegt immer.“
Die Regeln des ESC verbieten explizite politische Botschaften auf der Bühne. So musste etwa 2005 der Song „Razom nas bahato“(„Gemeinsam sind wir viele“) des ukrainischen Duos Greenjolly umgetextet werden. Die Originalversion war 2004 die inoffizielle Hymne der Orangen Revolution.
Auch wenn der Wettbewerb offiziell „unpolitisch“ist, ist er nicht erst mit den Shows aus Turin in seinem 66. Jahrgang politisch aufgeladen gewesen. Der Eurovision Song Contest, früher nobel Grand Prix Eurovision de la Chanson tituliert, war in den ersten Jahren womöglich eine unschuldige, heile Welt, aber seit den 1970er-Jahren nie ganz frei von politischen Einflussnahmen. Was man oft auch an den Reaktionen nach null Punkten sah: „Europa mag uns nicht!“
Erinnern wir uns doch: Schuld am Scheitern hatte in den Kommentaren gern die Politik. So schob man die hinteren Plätze von Österreich jahrelang Kurt Waldheim in die Schuhe; zwischen 1986 und 1992 konnte der ORF laut dieser ESC-Theoretiker keine gute Platzierung erreichen, da wir wegen unseres Bundespräsidenten abgestraft werden sollten. Das Lied war nie schuld. Ob von Thomas Forstner, Wilfried, Timna Brauer oder Gary Lux.
Natürlich zählt neben der Komposition, der gesanglichen Leistung und der Inszenierung auch die Sympathie. Umgekehrt: Die Gräuel der Jugoslawienkriege haben etwa Bosnien-Herzegowina (zuletzt 2016 dabei) keine nennenswerten Song-Contest-Erfolge beschert. ffiziell muss der ESC unpolitisch bleiben, sonst wäre es nicht möglich, Länder wie Aserbaidschan und Armenien oder Griechenland und Mazedonien in einen Wettbewerb zu bekommen.
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