Die Grünen in der neuen Rolle des Königsmachers
Die CDU siegt in Nordrhein-Westfalen. Die Grünen legen stark zu, FDP und SPD verlieren kräftig. Das Regieren wird nicht einfacher.
Kaum war die erste Prognose am Sonntagabend über die Bildschirme geflimmert, begann schon die Schlacht um die Deutungshoheit. „Das ist der Auftrag, eine künftige Regierung zu bilden und zu führen“, sagte CDU-Regierungschef Hendrik Wüst. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hoffte weiter auf Rot-Grün und konterte: „Die amtierende Landesregierung ist abgewählt.“
Eine These, die zutraf, das Ergebnis aber nur unzureichend beschrieb: Wüsts CDU wurde bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen klar stärkste Kraft mit weit über dreißig Prozent. Ihr Problem: Ihr Koalitionspartner FDP verlor deutlich und musste mit fünf Prozent lang um den Einzug ins Parlament zittern. Von einer „desaströsen Niederlage“sprach Parteichef Christian Lindner. Die SPD fuhr mit unter dreißig Prozent ihr schlechtestes Ergebnis der Landesgeschichte ein. Die Linke flog aus dem Landtag, die AfD sitzt trotz massiver Verluste weiter drinnen. Die Gewinner des Abends waren die Grünen: Mit fast zwanzig Prozent hatten sie ihr Ergebnis fast verdreifacht.
Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur kündigte eine Landesregierung mit „starker grüner Handschrift“an und mahnte Fortschritte beim Klimaschutz an. Das klingt nicht gut für Rot-Grün im einstigen Kohleland, wo die CDU einen Ausstieg aus der Kohleverstromung im Land der Energiekonzerne RWE und Uniper bis 2030 optimistischer sieht als die SPD.
In Nordrhein-Westfalen deutet damit vieles auf
SchwarzGrün.
Wüst, der erst im Oktober Armin Laschet als Ministerpräsident folgte, ist Historisches gelungen. Erstmals seit 60 Jahren ist ein CDU-Regierungschef an Rhein und Ruhr bestätigt worden. Von einem „klaren Regierungsauftrag“sprach Mario Czaja, der Generalsekretär des neuen CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz.
Er und die Union können entspannt sein. In der Vorwoche hatte Daniel Günther die Landtagswahl in Schleswig-Holstein gewonnen. Er will die JamaikaKoalition fortsetzen, auch wenn er allein mit Grünen oder FDP regieren könnte. In NordrheinWestfalen umwirbt Wüst die Grünen. Für die Union bietet sich plötzlich eine überraschende Vielfalt an bündnispolitischen Möglichkeiten.
Für die SPD macht die neue politische Mengenlehre die Lage komplizierter. Ihr kommen die Koalitionspartner abhanden. Die Grünen werden nach den Erfolgen in Bund und Land zunehmend selbstbewusster und
eigenständiger, die FDP wird nach der Schlappe in der Ampel noch stärker auf eigene Akzente und Alleingänge setzen. Es wird ungemütlicher in Berlin.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zum Amtsstart vor sechs Monaten eine „Fortschrittskoalition“angekündigt. Nun bringt Russlands Krieg in der Ukraine neue Herausforderungen. Aber Scholz nutzt die Chance nicht. Allein die Grünen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock ergreifen die Möglichkeiten der Krise und treiben Energiewende und eine neue Sicherheitspolitik voran. Scholz versprach eine Zeitenwende, zögerte aber lang mit den konkreten Folgen dieser Politik. So kommt der Fortschritt des neuen Bündnisses eher behäbig daher.
Die Sozialdemokraten konnten in Nordrhein-Westfalen ihre Kernklientel nicht mobilisieren. Wie schon in der Woche zuvor in Schleswig-Holstein. Scholz’ Stil wird von vielen offenbar eher als schwerfällig denn als behutsam empfunden. „Wir sind eine SPD“, versuchte SPD-Chef Lars Klingbeil Kritik am Kanzlerstil im Keim zu ersticken. Aber das Ergebnis aus Nordrhein-Westfalen macht das Regieren nicht einfacher – auch für Olaf Scholz im Bund.