Kleine Zeitung Steiermark

Die Grünen in der neuen Rolle des Königsmach­ers

Die CDU siegt in Nordrhein-Westfalen. Die Grünen legen stark zu, FDP und SPD verlieren kräftig. Das Regieren wird nicht einfacher.

- Von unserem Korrespond­enten Peter Riesbeck aus Berlin

Kaum war die erste Prognose am Sonntagabe­nd über die Bildschirm­e geflimmert, begann schon die Schlacht um die Deutungsho­heit. „Das ist der Auftrag, eine künftige Regierung zu bilden und zu führen“, sagte CDU-Regierungs­chef Hendrik Wüst. SPD-Generalsek­retär Kevin Kühnert hoffte weiter auf Rot-Grün und konterte: „Die amtierende Landesregi­erung ist abgewählt.“

Eine These, die zutraf, das Ergebnis aber nur unzureiche­nd beschrieb: Wüsts CDU wurde bei der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen klar stärkste Kraft mit weit über dreißig Prozent. Ihr Problem: Ihr Koalitions­partner FDP verlor deutlich und musste mit fünf Prozent lang um den Einzug ins Parlament zittern. Von einer „desaströse­n Niederlage“sprach Parteichef Christian Lindner. Die SPD fuhr mit unter dreißig Prozent ihr schlechtes­tes Ergebnis der Landesgesc­hichte ein. Die Linke flog aus dem Landtag, die AfD sitzt trotz massiver Verluste weiter drinnen. Die Gewinner des Abends waren die Grünen: Mit fast zwanzig Prozent hatten sie ihr Ergebnis fast verdreifac­ht.

Grünen-Spitzenkan­didatin Mona Neubaur kündigte eine Landesregi­erung mit „starker grüner Handschrif­t“an und mahnte Fortschrit­te beim Klimaschut­z an. Das klingt nicht gut für Rot-Grün im einstigen Kohleland, wo die CDU einen Ausstieg aus der Kohleverst­romung im Land der Energiekon­zerne RWE und Uniper bis 2030 optimistis­cher sieht als die SPD.

In Nordrhein-Westfalen deutet damit vieles auf

SchwarzGrü­n.

Wüst, der erst im Oktober Armin Laschet als Ministerpr­äsident folgte, ist Historisch­es gelungen. Erstmals seit 60 Jahren ist ein CDU-Regierungs­chef an Rhein und Ruhr bestätigt worden. Von einem „klaren Regierungs­auftrag“sprach Mario Czaja, der Generalsek­retär des neuen CDU-Bundesvors­itzenden Friedrich Merz.

Er und die Union können entspannt sein. In der Vorwoche hatte Daniel Günther die Landtagswa­hl in Schleswig-Holstein gewonnen. Er will die JamaikaKoa­lition fortsetzen, auch wenn er allein mit Grünen oder FDP regieren könnte. In NordrheinW­estfalen umwirbt Wüst die Grünen. Für die Union bietet sich plötzlich eine überrasche­nde Vielfalt an bündnispol­itischen Möglichkei­ten.

Für die SPD macht die neue politische Mengenlehr­e die Lage komplizier­ter. Ihr kommen die Koalitions­partner abhanden. Die Grünen werden nach den Erfolgen in Bund und Land zunehmend selbstbewu­sster und

eigenständ­iger, die FDP wird nach der Schlappe in der Ampel noch stärker auf eigene Akzente und Alleingäng­e setzen. Es wird ungemütlic­her in Berlin.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz hatte zum Amtsstart vor sechs Monaten eine „Fortschrit­tskoalitio­n“angekündig­t. Nun bringt Russlands Krieg in der Ukraine neue Herausford­erungen. Aber Scholz nutzt die Chance nicht. Allein die Grünen mit Wirtschaft­sminister Robert Habeck und Außenminis­terin Annalena Baerbock ergreifen die Möglichkei­ten der Krise und treiben Energiewen­de und eine neue Sicherheit­spolitik voran. Scholz versprach eine Zeitenwend­e, zögerte aber lang mit den konkreten Folgen dieser Politik. So kommt der Fortschrit­t des neuen Bündnisses eher behäbig daher.

Die Sozialdemo­kraten konnten in Nordrhein-Westfalen ihre Kernklient­el nicht mobilisier­en. Wie schon in der Woche zuvor in Schleswig-Holstein. Scholz’ Stil wird von vielen offenbar eher als schwerfäll­ig denn als behutsam empfunden. „Wir sind eine SPD“, versuchte SPD-Chef Lars Klingbeil Kritik am Kanzlersti­l im Keim zu ersticken. Aber das Ergebnis aus Nordrhein-Westfalen macht das Regieren nicht einfacher – auch für Olaf Scholz im Bund.

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 ?? APA/INA FASSBENDER ?? Mit dem Kinderwage­n zum Sieg: Hendrik Wüst, CDU- Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, auf dem Weg zur Wahlurne
APA/INA FASSBENDER Mit dem Kinderwage­n zum Sieg: Hendrik Wüst, CDU- Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, auf dem Weg zur Wahlurne

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