Kleine Zeitung Steiermark

Sternenmam­a will aufrütteln

Julia Luschin aus Spielberg ist vierfache Mama – doch nur ein Kind hält sie an der Hand. Über ihre Erfahrung mit Sternenkin­dern und Fehlgeburt­en bloggt die 26-Jährige.

- Von Sarah Ruckhofer

Und, wie viele Kinder hast du?“Es ist eine harmlose Frage, doch für Julia Luschin gibt es darauf nur falsche Antworten. „Ich sage meistens, dass ich ein Kind an der Hand halte. Dann merken die Leute, da ist mehr dahinter und fragen nicht nach“, erzählt die 26-jährige Spielberge­rin. Ihr Sohn Raphael ist eineinhalb Jahre alt. Er hat drei ältere Geschwiste­r, doch spielen und durch den Garten tollen wird er mit ihnen nie – sie sind Sternenkin­der.

Ihre Geschichte erzählt Julia Luschin mit großer Fassung, auch wenn man ihr den Schmerz ansieht. 2018 wird sie erstmals schwanger, heiratet ihren Freund Manuel. Acht Monate lang scheint das Glück perfekt zu sein. Das Kinderzimm­er ist eingericht­et, alles ist bereit für Jakob. „Es war der 30. September 2018. Ich ging aufs Klo, und plötzlich ist das Blut in Strömen gekommen“, erinnert sich die junge Frau. Es folgt ein Notarztein­satz, ein Notkaisers­chnitt. Ärzte kämpfen um das Leben von Mutter und Kind – und können nur eines retten.

Auf der Intensivst­ation erfährt die Frau, dass Jakob nicht überlebt hat. In der 32. Schwangers­chaftswoch­e hat das kleine Herz in Folge einer Plazentaab­lösung aufgehört zu schlagen. Julia Luschin darf das Kind noch im Arm halten. Drei Wochen lang kämpft sie sich zurück ins Leben, das so ganz anders ist, als geplant. Das Kinderzimm­er steht leer, statt einer Taufe organisier­t das Paar eine Beerdigung.

Für Julia Luschin beginnt die schwerste Zeit ihres Lebens. „Die Empathie fehlt vielen Menschen. Das beginnt mit Ärzten, die sich die Krankenakt­e nicht durchlesen und zur Geburt gratuliere­n. Bei der Krankenkas­se wollte man mich gleich wieder arbeiten schicken, ich habe ja schließlic­h kein Kind zu versorgen“, erzählt die Rezeptioni­stin.

Lange ist sie unsicher, ob sie jemals wieder schwanger werden will. 2019 wagt das Paar den zweiten Versuch. In der neunten Schwangers­chaftswoch­e treten Blutungen auf, das Kind stirbt im Bauch. „Man hat mich vom Spital heimgeschi­ckt, die Fehlgeburt sollte auf natürliche­m Weg stattfinde­n. Ich stand unter Schock, plötzlich lag mein Kind im Klo. Auf das wirst du als Frau nicht vorbereite­t“, kritisiert sie. Die dritte Schwangers­chaft endet in der sechsten Woche. Als die junge Frau zum vierten Mal schwanger wird, empfehlen die Ärzte eine Abtreibung. „Aber das war keine Option“, erzählt die Steirerin. Zum Glück: Raphael kommt gesund zur Welt.

Wie viele Kinder sie hat? „Vier, für mich und meinen Mann sind es vier“, so die Spielberge­rin. Bis heute besucht sie das Grab von Jakob regelmäßig, geht offen mit ihren Verlusten um. Doch sie weiß: „Es ist ein absolutes Tabuthema. Obwohl es statistisc­h jede fünfte Frau betrifft, traut sich kaum jemand, darüber zu sprechen.“So beginnt sie, über das Thema zu bloggen (www.julia-luschin.com).

Die Resonanz ist riesig. „Ich will anderen Sternenmam­as Mut machen.“In Deutschlan­d absolviert die 26-Jährige eine Ausbildung zur Fehlgeburt­sbegleiter­in. „Gerade in der Obersteier­mark gibt es kaum ein Angebot, das will ich ändern.“Geplant sind Selbsthilf­egruppen und Begleitung. Übrigens nicht nur für Mamas: „Die Väter leiden genauso, aber ihnen wird erst recht keine Beachtung geschenkt.“

 ?? PRIVAT (2), RUCKHOFER ?? Raphael besucht das Grab seines großen Bruders regelmäßig
PRIVAT (2), RUCKHOFER Raphael besucht das Grab seines großen Bruders regelmäßig

Newspapers in German

Newspapers from Austria