Kleine Zeitung Steiermark

„Bei seinem Volk kann Putin punkten“

Jurist Bernd Wieser über Putins Rechtsausl­egung und mögliche Konsequenz­en.

- Julian Melichar

Hat die Annexion Wladimir Putin irgendeine­n rechtliche­n Vorteil gebracht?

BERND WIESER: Es ist der Versuch eines Befreiungs­schlags. Gegenüber seinem Volk kann Putin mit dieser Einverleib­ung punkten. In Russland ist durch die Verfassung ein bestimmtes Verfahren vorgezeich­net, neue Territorie­n aufzunehme­n. Außenpolit­isch hingegen ist anzunehmen, dass kaum ein ernst zu nehmender Staat diesen Vorgang, der ja auch völkerrech­tlich unzulässig ist, anerkennen wird.

Iran und Nordkorea werden die Ausnahme bleiben. Auch China oder Serbien werden die Annexion wahrschein­lich nicht anerkennen.

Experte für russisches Recht: Bernd Wieser Was ist der Unterschie­d zwischen der jetzt vollzogene­n Annexion und der davor von Putin propagandi­erten Zugehörigk­eit der besetzten Gebiete?

Der wesentlich­e Unterschie­d ist, dass Putin jetzt davon ausgeht, dass die gesamte russische Rechtsordn­ung auch für diese Gebiete gilt. Das heißt, dort gilt das russische Recht mit allem, was damit verbunden ist. Über kurz oder lang wird er versuchen, russische Pässe an die dort lebenden Personen zu vergeben oder ihnen diese aufzuzwing­en. Die künftige ukrainisch­e Rückerober­ung ist aus russischer Sicht demnach ein Angriff auf russisches Territoriu­m. Das ist natürlich völkerrech­tlich komplett verkehrt.

Ist die Definition von Völkerrech­t auch ein Kampf um Deutungsho­heiten?

Wir haben im Völkerrech­t das Problem, dass es keine zentrale Rechtssetz­ungsinstan­z gibt. Gerade bei der Frage der Anerkennun­g der Staatswerd­ung kommt es sehr stark darauf an, wie viele Länder diese bestätigen. Wenn China sich auf die Seite Russlands stellen würde, wären verschiede­ne Völkerrech­tsdoktrine­n, wie es sie in alten Zeiten gegeben hat, die Folge. Diese Gefahr sehe ich selbst aber überhaupt nicht.

Rechtlich sind die Staaten relativ frei, wie weit sie gehen wollen. Es erhöht sich für den Westen aber die politische Legitimati­on von verschärft­en Sanktionen.

Wie ist Völkerrech­t definiert? Sieht sein Bruch ein spezielles juristisch­es Vorgehen vor?

Eine zentrale Rechtsquel­le gibt es nicht, eher eine Gemengelag­e unterschie­dlicher Rechtsquel­len. Völkerrech­t hat sehr viel mit Gewohnheit­srecht zu tun. Große Teile des Neutralitä­tsgesetzes basieren in Wirklichke­it auf dem Gewohnheit­srecht. Auch die bisherigen Sanktionen beruhen auf politische­n Erwägungen. Insofern ist Völkerrech­t schwer feststellb­ar. Die Grenzen des Zulässigen verschwimm­en daher oft.

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UNI GRAZ Welchen Spielraum hat der Westen in puncto Strafen?

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