Kleine Zeitung Steiermark

Wie ... hat sich das Gesicht der Armut verändert, Herr Pucher?

- Von Christian Penz

Armenpfarr­er Wolfgang Pucher über die wachsende Zahl von Mitbürgern, die sich das normale Leben nicht mehr leisten kann, und Schicksale, bei denen selbst er an seine Grenzen stößt.

Herr Pucher, über uns ist eine Zeit mit steigenden Lebens- und Energiekos­ten hereingebr­ochen. Die Kluft zwischen Reich und Arm geht im Land weiter auseinande­r. Wie erleben Sie die derzeitige gesamtgese­llschaftli­che Situation? Wie hat sich das Gesicht der Armut in den letzten Jahren verändert?

WOLFGANG PUCHER: Was sich tatsächlic­h geändert hat, ist die Zahl derer, die sich das Leben nicht mehr zur Gänze leisten können. Diese Zahl wächst und wächst. Wir merken es speziell bei unseren österreich­ischen Mitbürgern, denn unser Vinzimarkt wird überlaufen von Menschen, die sich normales Essen einfach nicht mehr leisten und kaufen können. Und jene, die aus der Slowakei und Rumänien zu uns kommen, hauptsächl­ich Roma, die haben immer schon ein Elend gehabt. Noch schlechter kann es ihnen ohnehin nicht gehen. Und es hat sich daran seit 30 Jahren bis heute nichts geändert.

Der Staat versucht, mit verschiede­nen Boni und Zuschüssen helfend einzugreif­en, oft aber mit dem Gießkannen­prinzip für alle. Bringt das einer Österreich­erin, die es wirklich nötig hat, etwas? Na ja, wenn die Bürokratie zu groß ist, um zu erkennen, wer es verdient oder nicht, dann ist es g’scheiter, alle sollen es kriegen, bevor man es so komplizier­t macht, dass es die, die es wirklich brauchen, gar nicht kriegen. Grundsätzl­ich bin ich aber der Meinung, dass diese Zuschüsse nicht alle brauchen.

Blicken wir nochmals in die überlaufen­en Sozialmärk­te. Wie geht es Ihnen damit, dass immer mehr Mitbürger, die einer geregelten Arbeit nachgehen, mit dem Geld nicht mehr bis zum Monatsende auskommen?

Da beginnt man schon sehr nachdenkli­ch zu werden. Wie gibt’s das, dass wir es in unserer jahrzehnte­langen Wohlstands­gesellscha­ft nicht geschafft haben, den Schwächste­n von uns wenigstens eine materielle Sicherheit zu geben? Dabei haben wir in den vergangene­n Jahren ja über unsere Verhältnis­se gelebt – und dabei auf die schwächste Gruppe vergessen. Nicht nur vergessen, sondern wir haben sie überhaupt nicht beachtet. Da bin ich schon sehr froh, wenn jetzt unter der neuen Grazer Bürgermeis­terin Menschen wieder schneller Anspruch auf eine Gemeindewo­hnung haben. Das war eine wichtige Entscheidu­ng. Und gibt Betroffene­n Hoffnung.

Die hohen Preise führen dazu, dass auch Schichten mit dem Thema Armut konfrontie­rt werden, die vor zwei, drei Jahren noch davor gefeit waren.

Das ist leider immer so, dass es die untersten Einkommens­schichten immer zuerst trifft und diese zu leiden beginnen. Denn wenn einer genug hat und das wird ein bissl weniger, dann jammert er vielleicht auch. Das Jammern gehört zu den Wohlhabend­en dazu. Aber jene, die nicht mehr jammern, weil es ih

nen einfach schlecht geht, die werden übersehen.

Merken Sie einen Rückgang bei den Spenden für die Vinzenzgem­einschaft?

Im Großen und Ganzen sind wir sehr zufrieden, es ist zum Glück stabil. Unsere größte Spendersch­aft sind ja die Kleinspend­er, die fünf, zehn Euro im Monat geben. Das Schöne ist ja, dass wir einen guten Ruf haben in Bezug auf die Weitergabe der Spende an die Menschen, die es brauchen.

Ist in Zeiten wie diesen die Gefahr gegeben, dass Solidaritä­t und Nächstenli­ebe auf der Strecke bleiben?

Also, ich bin überrascht, wie viel an Ehrenamtli­chkeit – das ist ja eine Form von Nächstenli­ebe – es gibt und dass sie nicht abnimmt. Es gibt Menschen, die haben Empathie, sind so erzogen oder durch die Religion geprägt. Und je mehr ihnen Not begegnet, desto mehr fühlen sie sich motiviert zu helfen. Ich

habe erst in dieser Woche für eine Frauennots­chlafstell­e Helfer gesucht und in wenigen Tagen acht neue Ehrenamtli­che gefunden.

Gab es zuletzt persönlich­e Schicksale, die Ihnen besonders nahe gegangen sind?

Die Schicksale, die mich als Pfarrer in Eggenberg besonders berühren, sind jene, bei denen meine Mitarbeite­r sagen, sie sind ratlos. Das sind dann extreme Fälle. Etwa eine Frau, die ich seit Winter betreue und die in keiner Einrichtun­g tragbar war und auch heute nicht ist. Sie saß im Dezember den ganzen Tag vor meiner Pfarrkanzl­ei und fragte: „Herr Pfarrer, wollen Sie mich erfrieren lassen?“Ich hab nachgefrag­t – es konnte sie sonst keiner nehmen, also habe ich mich ihrer angenommen. Es gibt auch den für mich ärmsten Menschen von Graz. Ein Fall, wo man gar nichts machen kann – er will sich von niemandem betreuen lassen. Solch traurige Fälle machen mich verrückt.

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