Eine Unterschrift ist zu wenig
„Der Schnellschuss verkennt die Vielschichtigkeit von Gewalt und bereitet keinen guten Nährboden für einen Kulturwandel.“
Was erzählen uns Kinder und Jugendliche an „blöden Geschichten“aus der Schule? Dass die anderen aus der Klasse gemein sind. Sie sagen „Du stinkst, Behinderter!“, „Du Hure!“, „Was hast du denn an? Habt´s ihr kein Geld?“. Dass Lehrer und Lehrerinnen herumbrüllen: „Aus dir wird eh nie was!“, „Bei mir fällst du dieses Jahr sicher durch!“, „So lange in Österreich, und du kannst noch immer nicht deutsch!“. Dass die Mathematik-Lehrerin die Mädchen bevorzugt. Dass der Turnlehrer schon vor 20 Jahren anlassig gewesen sein soll. Dass Schulwart oder Direktor den Schülerinnen „auf den Strich“starren, also auf ihr Dekolleté im engen T-Shirt. All das ist Gewalt. In ganz unterschiedlicher Form. In Worten, in Taten, sexuell oder auch nicht. Zwischen Mädchen und Buben, oder im Machtgefälle zwischen Lehrpersonen und Schutzbefohlenen. All das darf nicht sein und passiert doch. Fragen Sie Ihre Kinder danach! Ein Kinderschutzkonzept könnte hier erwiesener Maßen Abhilfe schaffen. Aber nur, wenn es von Anfang an gut gemacht wird.
Vor einer Woche hat die Regierung gleich sieben ihrer Minister und Ministerinnen beauftragt, ein „Maßnahmenpaket zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt“auszuarbeiten. Bildungsminister Martin Polaschek muss im ersten Halbjahr 2023 ein Gesetz entwerfen, damit alle österreichischen Schulen über ein verpflichtendes Kinderschutzkonzept verfügen. Er hat ein Schulsemester Zeit. Trotzdem kündigte er gleich drei Tage nach dem Ministerrat an, dass Lehrerinnen und Lehrer künftig bei ihrer Anstellung eine Erklärung unterzeichnen müssen, dass sie in keiner Weise mit Sexualstraftaten in Verbindung gebracht werden können.
Sein Schnellschuss verkennt die vielschichtigen Dimensionen von Gewalt und bereitet keinen guten Nährboden für einen Kulturwandel im Land, für weniger Schimpf und Schande. Nur die Unterschrift auf diesen Strich führt uns nicht automatisch zu kompetentem Kinderschutz.