Eine knallharte Abrechnung
Der grüne Ausschussbericht nimmt auf die ÖVP keine Rücksicht. Kaum jemals hat ein Regierungspartner den anderen so offen attackiert. Freuen darf sich vor allem die FPÖ.
Der Abschlussbericht der Grünen zum ÖVP-U-Ausschuss ist in mehrfacher Wortbedeutung ein starkes Stück. Es beginnt mit dem Titelbild: Zu sehen ist Sebastian Kurz vor türkis gekleideten Fans beim ÖVP-Wahlkampfauftakt 2017 in der Wiener Stadthalle. Wie am Pranger steht der Ex-Kanzler dort im Finsteren. „Protokoll einer großen Täuschung“nennen die Grünen ihren Bericht, und als unerzwungene Bösartigkeit sprechen sie von einer „Episode Kurz“.
Wohl noch nie in der Zweiten Republik hat eine Koalitionsfraktion auf offener Bühne so schonungslos die andere attackiert. Ähnlich robust sprang nur SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky im Herbst 1986 mit seinem Regierungspartner FPÖ um. Doch Vranitzky legte es damals auf einen raschen Koalitionsbruch an, während die Grünen ja mit der ÖVP weiterregieren wollen. Die Abrechnung mit den türkisen Verfehlungen ist deshalb ein ziemlich artistischer Balanceakt.
Die grüne Fraktionsführerin im Ausschuss, Nina Tomaselli, muss sich eines jedenfalls nicht vorwerfen: dass sie für den Regierungspartner Glacéhandschuhe angezogen hätte. Jene „Narrenfreiheit“, die sie von ihrer Partei für den Ausschuss zugebilligt bekam, hat sie maximal genützt. Im Interesse der Aufklärung aller Vorfälle kann man das gutheißen. Ob man so allerdings Vertrauen in die Politik zurückgewinnt, ist fraglich. Die Grünen werden jetzt erläutern müssen, wieso sie unverdrossen mit der ÖVP weitermachen, wenn sie deren Verfehlungen für so ungeheuerlich halten.
Die Erklärung, es habe in der ÖVP ja die Rücktritte von Kurz und mehreren ihm eng verbundenen Ministern gegeben, wird da nicht reichen. Denn im grünen Bericht tauchen über weite Strecken auch heute noch aktive Politiker der Volkspartei als Schurken auf: Finanzminister Magnus Brunner habe demnach kaum dienstrechtliche Konsequenzen aus der Beinschab-Affäre gezogen. Agrarminister Norbert Totschnig wird als Drahtzieher von unnötigen Finanzministeriums-Inseraten in der ÖVP-Bauernzeitung gerüffelt. Innenminister Gerhard Karner und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner werden für die Inserate in der ÖVP-Gemeindebundzeitung getadelt, während LH Markus Wallner in Sachen Wirtschaftsbund-Affäre sein Fett abkriegt.
Die ÖVP ihrerseits täte gut daran, die geballte Kritik anzunehmen, auch wenn (und gerade weil) sie so schwer verdaulich ist. Tatsächlich hat der Ausschuss eine Reihe von unhaltbaren Zuständen beleuchtet. Man denke nur an das tollkühne Feilschen um Steuererleichterungen für Siegfried Wolf. Gemeinsam ist den meisten Anklagepunkten, dass sich die handelnden Politiker zu sehr um fragwürdige Partikularinteressen und zu wenig ums Gemeinwohl gekümmert haben. Das muss sich endlich tiefgreifend ändern. Nur dann war der Ausschuss sein Geld wert. Macht man aber weiter, als wäre nichts gewesen, dann kann man den Schlüssel fürs Kanzleramt gleich an Herbert Kickl übergeben.