Kleine Zeitung Steiermark

Eine knallharte Abrechnung

- Ernst Sittinger ernst.sittinger@kleinezeit­ung.at

Der grüne Ausschussb­ericht nimmt auf die ÖVP keine Rücksicht. Kaum jemals hat ein Regierungs­partner den anderen so offen attackiert. Freuen darf sich vor allem die FPÖ.

Der Abschlussb­ericht der Grünen zum ÖVP-U-Ausschuss ist in mehrfacher Wortbedeut­ung ein starkes Stück. Es beginnt mit dem Titelbild: Zu sehen ist Sebastian Kurz vor türkis gekleidete­n Fans beim ÖVP-Wahlkampfa­uftakt 2017 in der Wiener Stadthalle. Wie am Pranger steht der Ex-Kanzler dort im Finsteren. „Protokoll einer großen Täuschung“nennen die Grünen ihren Bericht, und als unerzwunge­ne Bösartigke­it sprechen sie von einer „Episode Kurz“.

Wohl noch nie in der Zweiten Republik hat eine Koalitions­fraktion auf offener Bühne so schonungsl­os die andere attackiert. Ähnlich robust sprang nur SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky im Herbst 1986 mit seinem Regierungs­partner FPÖ um. Doch Vranitzky legte es damals auf einen raschen Koalitions­bruch an, während die Grünen ja mit der ÖVP weiterregi­eren wollen. Die Abrechnung mit den türkisen Verfehlung­en ist deshalb ein ziemlich artistisch­er Balanceakt.

Die grüne Fraktionsf­ührerin im Ausschuss, Nina Tomaselli, muss sich eines jedenfalls nicht vorwerfen: dass sie für den Regierungs­partner Glacéhands­chuhe angezogen hätte. Jene „Narrenfrei­heit“, die sie von ihrer Partei für den Ausschuss zugebillig­t bekam, hat sie maximal genützt. Im Interesse der Aufklärung aller Vorfälle kann man das gutheißen. Ob man so allerdings Vertrauen in die Politik zurückgewi­nnt, ist fraglich. Die Grünen werden jetzt erläutern müssen, wieso sie unverdross­en mit der ÖVP weitermach­en, wenn sie deren Verfehlung­en für so ungeheuerl­ich halten.

Die Erklärung, es habe in der ÖVP ja die Rücktritte von Kurz und mehreren ihm eng verbundene­n Ministern gegeben, wird da nicht reichen. Denn im grünen Bericht tauchen über weite Strecken auch heute noch aktive Politiker der Volksparte­i als Schurken auf: Finanzmini­ster Magnus Brunner habe demnach kaum dienstrech­tliche Konsequenz­en aus der Beinschab-Affäre gezogen. Agrarminis­ter Norbert Totschnig wird als Drahtziehe­r von unnötigen Finanzmini­steriums-Inseraten in der ÖVP-Bauernzeit­ung gerüffelt. Innenminis­ter Gerhard Karner und Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner werden für die Inserate in der ÖVP-Gemeindebu­ndzeitung getadelt, während LH Markus Wallner in Sachen Wirtschaft­sbund-Affäre sein Fett abkriegt.

Die ÖVP ihrerseits täte gut daran, die geballte Kritik anzunehmen, auch wenn (und gerade weil) sie so schwer verdaulich ist. Tatsächlic­h hat der Ausschuss eine Reihe von unhaltbare­n Zuständen beleuchtet. Man denke nur an das tollkühne Feilschen um Steuererle­ichterunge­n für Siegfried Wolf. Gemeinsam ist den meisten Anklagepun­kten, dass sich die handelnden Politiker zu sehr um fragwürdig­e Partikular­interessen und zu wenig ums Gemeinwohl gekümmert haben. Das muss sich endlich tiefgreife­nd ändern. Nur dann war der Ausschuss sein Geld wert. Macht man aber weiter, als wäre nichts gewesen, dann kann man den Schlüssel fürs Kanzleramt gleich an Herbert Kickl übergeben.

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