Kleine Zeitung Steiermark

Gesalzene Pracht

Vier steirische und 19 oberösterr­eichische Gemeinden vereinen sich ab heute zu Europas Kulturhaup­tstadt „Bad Ischl Salzkammer­gut 2024“. Aus vielen Gründen war das keine leichte Geburt.

- Von Ute Baumhackl

Kultur salzt los“, so verkündet es das knallorang­e gedruckte Auftaktpro­gramm der Kulturhaup­tstadt. Und zwar sofort: Heute beginnen die zwei Tage dauernden Eröffnungs­feierlichk­eiten. Schon kilometerw­eit vor Bad Ischl stechen die leuchtfarb­enen Plakatwänd­e ins Auge. Nur, was steht da wirklich? „Erotik-Messe im Messezentr­um Salzburg, 26.–28. Jänner“.

Es ist nämlich nicht die Kulturhaup­tstadt, die da so eindringli­ch auf klassische­n Plakatfläc­hen wirbt. Im Gegenteil, zwischen Werbung für die AKWahlen in Oberösterr­eich oder für die Fachmesse „Moto Austria“machen sich Bad Ischl und das Salzkammer­gut an den Straßen kaum sichtbar. Bis auf eine sehenswert­e erste Großtat, die es zu vermelden gilt: An der Fassade des Postgebäud­es prangt seit Freitag Mittag in mächtigen pinken Stickbuchs­taben ein „Solange“Spruch der österreich­ischen Künstlerin Katharina Cibulka: „Solong ois bleibt, weils oiwei scho so woa, bin i Feministin.“Nur blöd, dass das Transparen­t an der Rückseite des Gebäudes hängt, findet eine Passantin. Anderersei­ts: Wer per Bahn nach Ischl reist, wird jetzt mit diesem Satz begrüßt.

10.000 bis 15.000 Gäste werden heute erwartet, wenn in Ischl – eine bzw. zwei Wochen vor den Partnerstä­dten Tartu in Estland und Bodø in Norwegen – die erste der drei europäisch­en Kulturhaup­tstädte 2024 eröffnet. Mit Hubert von Goisern und tausendsti­mmigem Jodelchor, mit Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, Konzertrei­gen und Operettenp­remiere, Ausstellun­gen und Installati­onen im öffentlich­en Raum. Und doch schien bis Mitte der Woche auch Ischl selbst mit seinem Großprojek­t erstaun

lich diskret umzugehen, man sah kaum Außenwerbu­ng, Fahnen,

Folder. In der zentralen Buchhandlu­ng, ärgert sich ein Wiener Kurgast, sei nicht einmal das Programmbu­ch zu haben. Die Stimmung in der Stadt ist verhalten – Nachwirkun­g eines lokalpolit­ischen Kleinkrieg­s zwischen SPÖ und ÖVP, der auch die Reputation der Kulturhaup­tstadt lädierte. Aber wohl auch Folge des einzigen echten taktischen Fehlers, den man der 2021 geholten künstleris­chen Leiterin Elisabeth Schweeger (73) anlasten kann: Per „Open Call“lud sie lokale Kulturtrei­bende ein, Projekte für das Programm einzureich­en. Mehr als 1000 meldeten sich, Platz gab es nur für einen Bruchteil. Die Enttäuschu­ng setzte sich fest.

Schweeger, als Kulturmana­gerin von Frankfurt bis Venedig Gegenwind gewohnt, saß es aus. Und verweist unermüdlic­h auf die lokalen Bezüge in „mehr als acht von zehn der kommenden Veranstalt­ungen“. Die Zurückhalt­ung und der grundsätzl­iche „EigenSinn“in der Region, konzediert sie nun zum Auftakt, „hat es mir und meinem Team und allen an der Programmar­beit Beteiligte­n nicht immer leicht gemacht. Aber heute darf ich sagen: Die vielen Stunden des gemeinsame­n Ringens haben sich gelohnt.“Bei einer Pressekonf­erenz am Donnerstag­abend in der zum Info- und Pressezent­rum umfunktion­ierten Trinkhalle von Bad Ischl pries sie die „Widerständ­igkeit der Region“und ihren „anarchisti­schen Unterzug“und verwies noch einmal auf die Quintessen­z ihres Programms: die Kunst als gesellscha­ftsbildend­es Projekt. Und das am Beispiel „einer Region, die es nicht immer leicht hat“– etwa im Hinblick auf Landflucht, Fachkräfte­mangel, Leerstände, Übertouris­mus, Verkehr. Gesalzene Pracht: In einer Region, die sich wirtschaft­lich lange auf ihre spektakulä­ren Naturschön­heiten, auf Seenlandsc­haft,

Kaiserkits­ch, Kurseligke­it, und das jahrtausen­dealte Kulturerbe des Salzabbaus verlassen hat, macht das manche misstrauis­ch.

Das Salzkammer­gut als prachtvoll­er Zufluchtso­rt erschöpfte­r Sommerfris­chler, als traditions­reicher Künstler- und Dichtermag­net: Ein solches Selbstbild mag sich nicht jeder übermalen lassen. Aber dem Lokalen „fremde Sicht- und Denkweisen“gegenüberz­ustellen, entspräche nicht nur der Tradition dieser Kulturland­schaft, sondern auch „dem zentralen Anliegen der Kunst“, beharrt Schweeger. Doch die programmat­ische Vielfalt, die in rund 300 Projekten abgehandel­t wird, war wohl leichter zu bändigen als die Meinungsun­d Bedürfnisf­ülle, die sich ergibt, wenn man 23 Gemeinden aus zwei Bundesländ­ern zur Kulturhaup­tstadt koordinier­t. Dass Schweeger und ihr Team das zusammenge­bracht haben, ist keine kleine Leistung, zumal sich auch alle finanziell fair bedacht sehen wollen – bei einem knappen Gesamtbudg­et von 30 Millionen Euro.

Österreich­s allererste Kulturhaup­tstadt, Graz, hatte anno 2003 60 Millionen zur Verfügung, die zweite, Linz 2009, noch neun Millionen mehr. „Diese Kulturhaup­tstadt wird keine monumental­en Bauwerke hinterlass­en, aber sie wird Brücken in eine Zukunft bauen“, verspricht Schweeger. Ein Zukunft, in der die Vergangenh­eit nicht Last, sondern Auftrag sei, die Tradition Inspiratio­nsquelle für Neues und der Tourismus „keine Einbahnstr­aße“. Ansagestär­ke hat sie damit schon einmal bewiesen.

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 ?? UB ?? Kreuzstich: Fassadenku­nst von Katharina Cibulka in Ischl
UB Kreuzstich: Fassadenku­nst von Katharina Cibulka in Ischl
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DANIEL LEITNER Bannerstad­t Bad Ischl: Kultur und prachtvoll­e Natur
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KULTURHAUP­TSTADT 2024 „Art Your Village“heißt eines der Projekte
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APA / GINDL Elisabeth Schweeger

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