Grazer klagen ihre Stadt
Immer öfter belangen Bürger „ihr“Graz, nach Unfällen oder Glatteis. So rüstet sich die Stadt.
Es war bloß ein Nebensatz bei einer mit Spannung erwarteten Projektpräsentation auf dem Hauptplatz, den Thomas Fischer äußerte – und den der Leiter des Grazer Straßenamts nun gegenüber der Kleinen Zeitung präzisiert. Es ging um ein Auto, das mit Hightech-Kameras ausgestattet auf dem Weg durch die Stadt war. „Nur magistratsintern“werden die gelieferten Schnappschüsse fortan genutzt, betonten die Spitzen der Stadt, etwa bei der Berechnung von Radwegen. Thomas Fischer aber ließ mit einem Zusatz aufhorchen: Die Fotos würden auch bei der „Beweissicherung“helfen, „das wird etwa nach Unfällen für uns als Straßenerhalter immer wichtiger“.
Tatsächlich wendet sich das Blatt: In Zeiten wie diesen, da bereits jeder Kratzer im Kindergarten im Zweifel für den Familienanwalt spricht, belangen immer mehr Grazerinnen und Grazer „ihre“Stadt: mit Klagen und Schadenersatzforderungen nach Zwischenfällen, bei denen ihrer Meinung nach die öffentliche Hand ausgelassen hat – wenn etwa das Schlagloch auf der Straße dem neuen Auto nicht guttat oder ihnen Glatteis auf dem Gehsteig die Beine wegzog. „Das sind zusehends angloamerikanische Verhältnisse. Wir leben in einer Vollkaskogesellschaft: Alles muss reibungslos funktionieren – und passiert doch etwas, sind alle anderen schuld, nur ich nicht“, schüttelt Straßenamtsleiter Fischer den Kopf. „So etwas wie Eigenverantwortung gibt es kaum noch.“
Nein, soweit er weiß, ist seine Abteilung bislang noch zu keinen Zahlungen verdonnert worden. Auch im Falle einer Dame nicht, die über die Kreuzung beim Geidorfplatz ging, ausrutschte und sich die Hand brach. Sie ging vor Gericht. „Sinngemäß argumentierte sie so: Wenn die Fußgängerampel auf Grün schaltet, könne sie wohl davon ausgehen, wohlbehütet auf die andere Straßenseite zu kommen.“Dass es das Gericht anders sah, lag laut Fischer
auch an den „Räumprotokollen“der Holding Graz, die immer öfter eine tragende Rolle spielen: Diese zeigen detailliert, zu welchen Zeiten an welchen Tagen Schnee geräumt und/oder Salz gestreut wurde.
Parallel will die Stadt eben die Aufnahmen des Hightech-Autos nutzen: „Diese zeigen, in welchem Zustand die Straße X zum Zeitpunkt der Aufnahme war. Davon ausgehend, können wir auch Monate später noch ableiten, wie sich danach die Lage vor Ort entwickelt hat – wenn uns ein Lenker nach einem Unfall dort verklagt oder der Besitzer eines angrenzenden Hauses wegen eines Gebäudeschadens.“
Die Dreharbeiten des „Cyclomedia“-Autos sind übrigens beendet, die Gespräche mit der Datenschutzbehörde noch nicht. Auch wenn schon bei der Präsentation auf dem Hauptplatz betont wurde, dass Gesichter und andere „personenbezogene Daten“auf den Fotos nicht erkennbar seien.